Über eine Kabarettsendung zur Leiharbeit und eine Klagekampagne von Leiharbeitern

Lektionen aus der „Anstalt“

Von Philipp Kissel

„Ich dachte, man braucht Gewerkschaften, um gemeinsam mehr zu erreichen?“ Diese Frage stellt Claus von Wagner als Werkvertragsarbeiter in der Kabarettsendung „Die Anstalt“. Gemeinsam mit Max Uthoff, der den Firmenboss „Zwetschge“ spielt, erklären sie das geänderte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und die Tarifvereinbarungen der IG Metall. Der Werkvertragsarbeiter Wagner kommt zu dem Schluss: „Eine Öffnung nach unten ist ein Loch. Das heißt, die Tarifpartner haben das Gesetz nicht geöffnet, sondern durchlöchert.“

Kabarett hat eine Ventilfunktion. Man kann endlich einmal über alles, was einen an Politik und Gesellschaft ärgert, lachen und sich über das Aussprechen von Wahrheiten freuen. Die Auswahl der Themen zeigt also auch an, was vielen Menschen unter den Nägeln brennt. Dass die ZDF-Kabarett-Sendung „Die Anstalt“ eine ganze Sendung fast ausschließlich der Leiharbeit gewidmet hat, ist ein Ausdruck dafür, dass viele sauer und empört sind

In der IG Metall-Zentrale dürfte nach der Sendung vom 16. Mai nicht wirklich Freude aufgekommen sein. Die Macher der „Anstalt“ erklären nicht nur wie die Spaltung der Arbeiterklasse funktioniert und wie Tarifverträge zur Verschlechterung statt zur Verbesserung genutzt werden, sie zeigt auf, warum Gewerkschaften eigentlich entstanden sind und warum sie jetzt dazu beitragen, dass sich viele fragen, wozu man sie eigentlich noch braucht. Sie ist dazu da, sagt ein Vertreter der Gewerkschaft zum Firmenboss Zwetschge, „um mit uns die Tarife nach unten zu drücken.“ Auf die Frage des Werkvertragsarbeiters, warum die beiden Gewerkschaftsvertreter am kleinen Tisch im Büro des „Klassenfeinds“ (Zitat) sitzen, antworten diese: „Wir verstehen uns als gleichberechtigte Partner in einem Bündnis für Arbeit.“ Und man sei schließlich im internationalen Wettbewerb. Verdutzt fragt der Werkvertragler: „Ich dachte, ihr steht für internationale Solidarität?“ Antwort: „Am 1. Mai, aber doch nicht werktags“.

Das Publikum geht bei der ganzen Sendung emotional mit. Den meisten und lautesten Applaus gibt es, als es um die Streikfrage geht. Einer der beiden von der Gewerkschaft steht auf und regt sich auf, dass sie schon lange keinen richtigen Kampf mehr geführt haben. Der letzte Arbeitskampf war 1984 für die 35-Stunden-Woche. Begeistert erzählt er, dass mehr als 57 000 Kollegen gestreikt und demonstriert haben – und das Publikum klatscht laut und lange. Als es um die Streikfrage geht und klar wird, dass weder der Werkvertragsarbeiter noch der Leiharbeiter streiken kann, sondern nur die Stammbelegschaft, erklärt aber der andere Kollege der Gewerkschaft, dass so ein Puffer von Leiharbeitern doch eigentlich ganz gut für die Stammbelegschaft ist – und der Streik ist vom Tisch.

Firmenboss Zwetschge ist zufrieden, die Gefahr gebannt. Nur eine Gefahr drohe, nämlich durch die EU-Richtlinie, die gleiche Bezahlung ab dem ersten Tag für Leiharbeiter vorsieht. Bisher hätten sie Leiharbeiter von einer Klage abhalten können durch Abfindungen. Aber zum Glück kenne niemand die E-mail-Adresse des Arbeitsrechtlers Wolfgang Däubler. Die ist dann auf dem Ordnerrücken des Werkvertragsarbeiters deutlich zu sehen und wird eingeblendet. „Wenn sich nun da viele Leiharbeiter melden würden…“ sagt Claus von Wagner.

Das haben bereits über 200 Leiharbeiter in ernsthafter Absicht getan. Das Internet-Forum „labournet“, dessen Materialien auch als Teil des Info-Materials von „Der Anstalt“ angeboten werden, koordiniert die Klagekampagne. In den Zuschriften berichten viele Kollegen auch über die unhaltbaren und schlimmen Arbeitsverhältnisse. Labournet gibt Tipps für die Klage und vermittelt Anwälte und sammelt Spenden für die Klagen.

Die Kampagne kann dazu dienen, Aufmerksamkeit zu erregen und vielleicht einige Gerichtsurteile zu erzwingen. Der Weg über Klagen kann letztlich nur ein Hilfsmittel im politischen Kampf für eine Umorientierung der Gewerkschaftsbewegung sein – gegen die Spaltung und die Aushöhlung der Gewerkschaft. Aber je mehr Kollegen – auch aus der Stammbelegschaft davon erfahren, desto besser. Die Mehrheit dürfte die Leiharbeit genau so ablehnen, wie dies die Leiharbeiter tun.

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"Lektionen aus der „Anstalt“", UZ vom 2. Juni 2017



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