Mit Absicht in die tiefere Rezession

Leitzinsen steigen weiter

Dies ist keine Nachricht, sondern ein Kommentar, den ich zu Wochenbeginn geschrieben habe, bevor die US-Notenbank Fed ihre Leitzinsspanne am Mittwoch auf 5,25 bis 5,50 Prozent und die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag ihren Leitzins um jeweils einen Viertelpunkt auf 4,25 Prozent erhöht haben. Es schien mir nicht besonders risikoreich, diese Prognose zu wagen, denn die Damen und Herren Notenbanker haben die Allgemeinheit wissen lassen, dass sie diese Zinserhöhung vornehmen wollen.

Warum machen sie das? Um die Inflation zu bekämpfen, sagen sie. Und das sagen auch die vielen klugen Kommentatoren, Bankvolkswirte und Politiker. Sie hatten als geballte veröffentlichte Meinung nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo die Notenbanker lange bedrängt, eine „Straffung der Geldpolitik“ vorzunehmen, bevor sich die EZB im Juli 2022 bequemte, den ein Jahrzehnt lang gültigen Leitzins von 0 Prozent „endlich“ anzuheben.

Festzuhalten ist jedenfalls, dass die Notenbanker zögerlicher waren als die öffentliche Meinung. Sie sind zwar nach dem Gesetz und den Regeln, wie das globale Finanzsystem des Kapitalismus staatlich zu steuern ist, für die Stabilität ihrer Währungen zuständig. Jedoch sahen sie selbst, dass die Ursachen für die rasant steigenden Preise wenig mit der höheren Menge des Geldes in der Hand des Finanzkapitals, sondern mit politischen und realwirtschaftlichen Dingen zu tun hatten. Mit Sanktionen, gerissenen Lieferketten, Pandemie, Krieg und Wirtschaftskrieg. Kurz, die Teuerung geht auf einen künstlich erzeugten Mangel an Produkten zurück, an Erdöl, Erdgas, Bauholz, Computerchips et cetera. Sollte man diese Teuerung, so fragten die Notenbanker ausnahmsweise zu Recht, mit höheren Zinsen, also einer Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, bekämpfen?

Die Abkehr von dieser zögerlichen Haltung kam um die Jahreswende 2021/2022. Es zeichnete sich ab, dass die US-Politik auf eine dauerhaft konfrontative Politik gegenüber China und Russland einschwenkt. Und zwar nicht nur militärisch und diplomatisch, sondern vor allem auch wirtschaftlich. Damit einher ging auch ein rüderer Umgang mit den wirtschaftlichen Interessen der Verbündeten. Die Biden-Regierung erzwang für Westeuropa nicht nur das Ende billiger und zuverlässiger Energiezufuhr aus Russland, dekretierte nicht nur eine Reduzierung des lebhaften Waren- und Kapitalverkehrs mit dem Großkunden China, sondern verschärfte zusätzlich den Standortwettbewerb um die Investitionen des Großkapitals mit dem „Inflation Reduction Act“. Den Größen- und Machtvorteil der USA im Konkurrenzkampf mit dem Rest der Welt in einem konfrontativen Umfeld zur Geltung zu bringen – ähnlich vielleicht wie in den 1980ern unter Präsident Ronald Reagan – soll also die mittelfristige Strategie der USA sein.

Dazu aber braucht es die Sicherheit, dass der Preis der Ware Arbeitskraft im Inland nicht steigt. Die US-Notenbank führte deshalb auch den Schwenk zu steigenden Notenbankzinsen Anfang 2022 an. Die „Zinswende“ der EZB folgte, man kann fast sagen, schon aus Konkurrenzgründen, gezwungenermaßen. Es ging und geht dabei nicht darum, die Anlässe oder gar Ursachen der Inflation zu verhindern. Vielmehr sollen die Lohnarbeiter daran gehindert werden, ihren Reallohn angesichts steigender Preise zumindest zu halten. Im Jargon der Banker und Politiker gilt es, die sich selbst verstärkende Inflationierung oder die Preis-Lohn-Spirale zu verhindern. Anders gesagt, die gestiegenen Preise sollen von den Konsumenten geschluckt und die Einkommensverluste ertragen werden. Das langsame Abgleiten der Wirtschaft in der EU und in den USA ist noch nicht das Resultat der höheren Zinsen, sondern der Einkommensverluste durch die Inflation. Die Rezession folgt noch und ist gewollt.

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"Leitzinsen steigen weiter", UZ vom 28. Juli 2023



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