Am 1. September 1989 wurde das letzte Mal jemand in die DDR eingebürgert. Dieser Mensch war Dichter, und er war Kommunist. Sein Name war Ronald M. Schernikau.
Vorausgegangen war der Einbürgerung der Eintritt in die DKP mit 16 Jahren, ein sensationeller Erfolg noch vor seinem Abitur mit der „Kleinstadtnovelle“ über sein Coming-Out im niedersächsischen Dorf, ein Umzug nach Berlin (West), der Eintritt in die SEW und ein dreijähriges Studium am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ in Leipzig.
Für die Zulassung zum Literaturstudium in dem Land, in das Schernikau seiner Ansicht nach gehörte, hat er lange gekämpft. Denn Schreiben über Abgründe und Grausamkeiten interessierte ihn nicht, er wollte Schönheit produzieren. Das ging und geht nur in einem von Privatbesitz an den Produktionsmitteln befreiten Land. Dort, wo Verkaufschancen nicht über Veröffentlichung oder Nicht-Veröffentlichung von Literatur entscheiden.
Die Liebesgeschichte, die Ronald M. Schernikau mit der DDR verband, war – wie jede wahre und schöne Liebesgeschichte – keine oberflächliche. Kein verliebt-blinzelndes Starren auf Schönheit und Vollkommenheit, sondern tatsächliche, alle Fehler des anderen erkennende Liebe – zumindest von Ronalds Seite aus. Die DDR wollte „die tage in l“, seine Abschlussarbeit am Becher-Institut, lieber nicht veröffentlichen. Das tat der Konkret Literatur Verlag.
Schernikau hat nicht davor zurückgeschreckt, Fehler, die die DDR gemacht hat, deutlich zu benennen. In„tage in l“ hält er fest: „in ihrem grenzenlosen legitimationsbedürfnis spürt die ddr auch noch die blödesten bündnispartner auf.“
Aber Schernikau stand unerschütterlich zu ihr. Auch in ihren letzten Tagen. Auf seinem ersten Kongress der Schriftsteller der DDR, der der letzte seiner Art sein sollte, hielt Schernikau im März 1990 eine Rede, die sich mit dem auseinandersetzt, was gerade auch auf die Dichterinnen und Dichter des Landes zukommen sollte und von dem die meisten von ihnen im Jubeltaumel nichts zu ahnen schienen. Ihm ist klar, dass es mit der Schönheit in der Literatur auf absehbare Zeit vorbei sein wird, denn „Wir werden uns wieder mit den ganz uninteressanten Fragen auseinanderzusetzen haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe?“ Und er stellte das fest, was bis heute jedem klar sein muss, der fortschrittlich dichten will: „Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, dass man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können.“
Die DDR hielt der Konterrevolution nicht stand. Ronald M. Schernikau hat sie nicht lange überlebt. Er starb am 20. Oktober 1991. Am 11. Juli wäre er 60 Jahre alt geworden.
Lesetipp, unter anderem mit Beiträgen von Georg Fülberth und Dietmar Dath: Helen Thein / Helmut Peitsch (Herausgeber) Lieben, was es nicht gibt. Literatur, Pop und Politik bei Ronald M. Schernikau. Verbrecher Verlag. Berlin 2017. 24,- Euro