„Nie wieder!“ Fast gebrochen, wie eine verschämte Kinderentschuldigung klingt es 1948 aus den Kehlen Tausender, als die UN-Generalversammlung in New York den Schwur bekräftigt, Menschenrechtsverbrechen wie die der Nazis zu verhindern – doch der KZ-Überlebende Paul Wolfowitz verweist schon kurz darauf auf die vielen Herrscher weltweit, die aus dem Schwur nur eine Lachnummer („mockery“) gemacht hätten.
Dror Moreh, Dokfilmer aus Israel, hat schon 2007 seinen Staatschef Ariel Scharon porträtiert und 2012 mit „The Gatekeepers“ den Inlandsgeheimdienst Schin Bet. In seinem neuen Film „Corridors of Power“ geht er diesem „Nie wieder“-Paradox nach und eröffnet uns ungewöhnliche Einblicke in das politisch-strategische Denken derer, die seither die Weltpolitik bestimmt haben, also vor allem hochkarätiger US- und verbündeter Politiker von Henry Kissinger bis zu Barack Obama. Besondere Zutat: ein ausführliches Porträt der irisch-amerikanischen Politologin Samantha Power, deren Buch „A Problem from Hell“ sie zur Expertin in Fragen weltweiter Konflikte und ihrer „Lösungen“ macht. Ihre Karriere ist mit der Obamas eng verbunden – 2013 machte er sie zur US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen.
Nicht nur die Vielzahl der prominenten Interviewten, die dichten Untertitel und die Laufzeit von 145 Minuten machen aus Morehs Film beinahe Kassengift, dem man viele mutige Kinobetreiber wünschen muss; als hochaktuelle, brisante Stellungnahme in politisch wechselhaften Zeiten droht ihm zugleich das Los manches politischen Films – politisch richtig zu sein in falscher Zeit. Ein Dilemma, dem Moreh entgeht, indem er seine weltpolitische Chronik zweifelhafter Entscheidungen seit 1945 nur fortsetzt bis zum Dritten Irakkrieg und zum Sturz Saddam Husseins, dessen Bilder für den Besiegten kaum weniger peinlich sind als für den Sieger.
Grundmuster all dieser Konfliktmodelle ist ein Weltbild, das den US-Regierungen die Rolle des Weltpolizisten zuschreibt, der zu jeder Form aktiven Einschreitens ermächtigt, aber keineswegs verpflichtet ist, wie US-Außenminister Kissinger Moreh in einem seiner letzten Interviews betont: „Wir haben keinerlei moralische oder politische Verpflichtung, jedem Übel in der Welt militärisch zu begegnen.“ An die Stelle des alternativlosen „Nie wieder“ ist eine „rote Linie“ getreten, eine (mehr oder weniger!) präzisierte Grenze der Verschärfung eines Konflikts, deren Überschreitung politisches und militärisches Eingreifen erzwinge – oder auch nicht.
Ein umstrittener Gasangriff im syrischen Ghuta, der zunächst Präsident Baschir Al Assad zugeschoben wurde, diente dann 2013 auch Obama als „rote Linie“ – und dem von Obamas „Inkonsequenz“ enttäuschten Moreh als Motiv, seine langjährigen Recherchen zu „Kulissen der Macht“ zu bündeln. Seither gab es noch etliche Konflikte weltweit, die als Anschauungsmaterial dienen könnten – Stichworte: Mali, Kosovo, Georgien, Palästina und so weiter. Man muss nur der Themenliste im „Situation Room“ im Weißen Haus folgen. Nimmt man gar eine unkriegerische Vorstufe, nämlich bilaterale oder gebündelte Sanktionen, in den Blick, gibt es Themen für Fortsetzungen wie Sand am Meer. Ob sich Samantha Power, der eine Rolle im Kabinett Trump I erspart blieb, schon auf ein Kabinett Trump II einstellt, vor dem sie heute warnt? Auch danach wird es an Konflikten nicht mangeln, ob sie Rafah heißen oder Charkow. Welcher Präsident dann die „Rote Linie“ zieht, wird sich zeigen. Der von Obama als Direktorin der US Agency for International Development „zwischengeparkten“ Samantha Power sollte eine wichtige Rolle darin gehören.
Corridors of Power – Kulissen der Macht
Regie: Dror Moreh
Jetzt im Kino