Zu „Gegen Deindustrialisierung“, UZ vom 3. November

Lehren aus Rheinhausen

Benedict Kolbe, per E-Mail

Die deutsche energieintensive Industrie droht in der internationalen Konkurrenz abzuschmieren. Gute alte Lösung aus dem staatsmonopolistischen Erste-Hilfe-Kasten: Der Staat springt mit Steuergeldern in die Bresche. So weit, so normal.

Jetzt ist es aber so, dass die IG Metall bei diesem Vorhaben mit ins sogenannte Boot geholt wird. Die Beschäftigten der betroffenen Industrie werden in Stellung gebracht, um die zögernde Regierung unter Druck zu setzen.

Nachvollziehbar, dass es die Kolleginnen und Kollegen bewegt, denn an den Arbeitsplätzen hängen eben Existenzen, und die Gefahr, dass bei nicht ausreichendem Profit Entlassungen kommen, ist ja real. Hier lässt sich das im Artikel erwähnte Stahlwerk in Rheinhausen heranziehen.

Es gab damals sowohl massive staatliche Subventionierung der Montanindustrie als auch Einigung mit dem Arbeitgeber, dass die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Wenige Tage später war das Geschichte und die Schließungspläne wurden öffentlich. Bei der Vertretung der eigenen Interessen und der eigenen Zukunft sind Zusagen aus Politik und von Kapitalseite nicht das Papier wert, auf dem sie stehen.

Eine andere Lehre aus Rheinhausen ist deutlich hoffnungsvoller. Damals gelang es, große Teile der Bevölkerung in eine Solidaritätsbewegung einzubinden. Es gab Solidaritätsstreiks der Beschäftigten der Stadt und an anderen Stahlstandorten, Proteste der Landwirte und der Postgewerkschaft, Blockaden der Stadt Duisburg und der Rheinbrücke, Lehrer- und Schülerdemonstrationen, die Vereinigung von Duisburger Kaufleuten, die sich solidarisch erklärten. Der evangelische Geistliche organisierte das Bürgerkomitee. Solidarische Besuche französischer Stahlarbeiter und deren Versprechen, sich nicht ausspielen zu lassen. Man konnte große Teile der Bewohner praktisch in den Kampf miteinbeziehen und ihnen klar machen, dass es nicht um Sachzwänge, Sparmaßnahmen oder alternativlose politische Entscheidungen geht, sondern dass es sich hier um eine Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit handelt. Es wurde Klassenbewusstsein entwickelt.

Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen aus Angst um Arbeitsplätze in ein Bündnis mit der Kapitalseite begeben, dann können wir nicht danebenstehen und applaudieren. In so einem Bündnis wird kein Klassenbewusstsein wachsen. Das jedoch ist unsere dringendste Aufgabe.

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"Lehren aus Rheinhausen", UZ vom 10. November 2023



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