Gerichte bewerten das „Containern“ nicht immer als Verbrechen

Lebensmittelsuche zwischen Mülltonne und Staatsanwaltschaft

Von Uwe Koopmann

Wer durch einen fehlenden Arbeitsplatz und die „Sozialpolitik“ von Merkel und Nahles so arm gehalten wird, dass er es sich nicht leisten kann, regelmäßig Lebensmittel zu kaufen, der geht zur „Tafel“ – oder er versucht, sich in Abfallcontainern zu „bedienen“. Lebensmittel in die Tonne zu werfen ist nicht strafbar, Lebensmittel aus der Tonne zu fischen kann sehr wohl bestraft werden. Die DKP unterstützt die Forderung „Containern ist kein Verbrechen!“

Aktueller Anlass ist ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Aachen gegen Personen, die Lebensmittel aus einem Abfallcontainer geholt haben. Nur: es gab weder eine Anzeige von der „geschädigten“ REWE-Filiale an der Freunder Landstraße 33–35 noch von der Konzernzentrale, dennoch wurde daraus durch die Strafverfolgungsbehörden ein „schwerer Diebstahl“ konstruiert.

Das Aachener Gericht muss der „Beweisführung“ der Staatsanwaltschaft und ihren Strafvorstellungen nicht folgen, denn die Gerichte haben bisher nicht einheitlich geurteilt. Es kann eine Rolle spielen, ob auf Hausfriedensbruch oder auf Diebstahl erkannt wird. Hausfriedensbruch könnte angenommen werden, wenn die „Täter“ über einen Zaun zum Container geklettert sind. Diebstahl könnte vorliegen, wenn die Lebensmittel nicht zum „Eigentumsverlust“ bestimmt gewesen sind.

Die Gerichte können das Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ einstellen und lediglich eine Auflage für die „Täter“ bestimmen. Es kann aber auch anders kommen, wenn man sich „abgelaufene“ oder „angeditschte“ Lebensmittel aus den Container holt. In Düren erkannte das Amtsgericht: das ist Strafbar. Das Landgericht Aachen hob das Urteil – ohne Auflage – wieder auf. Begründungen waren Geringfügigkeit und fehlendes öffentliches Interesse. In Köln ging die Justiz von einem „gemeinschaftlichen Diebstahl in einem besonders schweren Fall“ aus. Auflage: 60 Stunden gemeinnützige Arbeit. Und nun steht wieder Aachen an. Diesmal das Amtsgericht.

Hinter dem aktuellen Fall steckt System. Die „Rettung“ von Lebensmitteln vor dem drohenden Verderben ist strafbewehrt. Für die braunen Bananen, die Äpfel mit Druckstellen und die Zitronen im Container gibt es in Deutschland einen „Eigentumsvorbehalt“. Die Früchte gehören, auch wenn sie nicht mehr zu verkaufen sind, dem Unternehmen, das sie in die Tonne geklopft hat. Eigentum ist geschützt. Anders in der Schweiz und in Österreich: „Müll“ wird eher als „herrenlos“ eingestuft, kann also straffrei aus den Tonnen entnommen werden.

Zur kapitalistischen Wegwerfkultur gehören auch die EU-Vorgaben: Fleischtomaten müssen einen Durchmesser zwischen 67 und 102 Millimeter haben. Bei der Salatgurke darf es in der Handelsklasse „Extra“ auf 10 cm Länge nur eine Krümmung von maximal 10 mm geben. Siehe Verordnung Nr. 1677/88 (Gurkenkrümmungsverordnung). Was nicht den Vorgaben entspricht kommt erst gar nicht ins Regal.

Die United Nations Food und Agri­culture Organization (FAO) hat ermittelt, dass in Europa pro Jahr und Person 280 bis 300 kg Nahrungsmittel weggeworfen werden. Im Gegensatz zu dieser personenbezogenen Berechnung gibt es keine Statistik darüber, welcher Lebensmittelkonzern und welche Handelskette welche Lebensmittel in welchem Ausmaß vernichtet. Das ist auch nicht nötig, denn Lebensmittelvernichtung im großen Stil wird nicht bestraft. Das macht eben den Unterschied zum Containern aus.

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"Lebensmittelsuche zwischen Mülltonne und Staatsanwaltschaft", UZ vom 3. Juni 2016



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