Bundesbehörde gibt Zusammenhang von Krieg und Geldentwertung zu

Lebensmittelpreise fressen Löhne auf

„Die Inflationsrate ist auf den niedrigsten Wert seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine gefallen.“ So bewertete Mitte letzter Woche Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes, den Rückgang der September-Inflationsrate im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 4,5 Prozent nach 6,1 Prozent im August. Das klingt nach einem ermutigenden Trend.

Abgesehen von der falschen Datierung des Kriegsbeginns auf 2022 statt auf 2014 ist der Satz vor allem deshalb bemerkenswert, weil in ihm „Inflation“ und „Krieg“ zusammen erwähnt werden. Bis in linkssozialdemokratische und Gewerkschaftskreise hinein wird zuweilen so getan, als ob der gegenwärtige Geldentwertungsprozess mit dem Krieg gegen Russland nichts zu hätte. Dabei sprechen alle geschichtlichen Erfahrungen für einen solchen engen Zusammenhang – von der großen Inflation vor jetzt genau 100 Jahren im Gefolge des 1. Weltkriegs bis hin zu den inflationären Prozessen in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit dem Vietnamkrieg. Zweitens zeigt der Satz, wie tief inzwischen die Erwartungshaltung der herrschenden Klasse gegenüber ihrem eigenen Ziel einer Preisstabilität gesunken ist. Gefeiert wird hier eine Inflationsrate von 4,5 Prozent. Sie liegt mehr als doppelt so hoch wie das erklärte Ziel von höchstens zwei Prozent Geldentwertung pro Jahr und wäre in früheren Zeiten ein Alarmsignal gewesen. Drittens dient der positiv stimmende Satz der Verschleierung der weiter trabenden Wohlstandsminderung bei Arbeiterinnen und Arbeitern und Angestellten, die auf Tariflöhne angewiesen sind, bei Rentnerinnen und Rentnern und erst recht bei Menschen, die von Lohnersatzleistungen abhängig sind.

Beschönigend sind die 4,5 Prozent zum einen, weil die Bundesregierung in den Monaten Juni bis August 2022 mit dem 9-Euro-Ticket und dem Tankrabatt Maßnahmen getroffen hatte, die nun nicht mehr wirken. Sie hellen die Statistik für September gegenüber den Vormonaten auf. Vor allem aber liegen viele der Preise von Waren, die in den einkommensschwächeren Haushalten anders als in den Vierteln der Reichen den Großteil des Haushaltsbudgets ausmachen, über diesem statistischen Durchschnittswert von 4,5 Prozent: Heizöl war 6 Prozent teurer als vor einem Jahr, Brot 12 Prozent, Zucker und Marmelade sogar 15 Prozent. Gegenüber solchen Preissteigerungen verblassen die Tariferhöhungen dieses Jahres und die Erhöhungen der Renten und des Bürgergeldes erst recht. Einige Einkommensgruppen trotzen dieser Entwicklung. So meldete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 1. September: „Ärzteverdienst trotzt der Inflation“ und verwies darauf, dass sich die reale Einkommenslage der niedergelassenen Ärzte nach entsprechenden Verhandlungen mit den Krankenkassen positiv entwickelt hätte.

Das Gesamtbild ist damit klar: Der Reallohnverlust der unteren Einkommensklassen schreitet voran, die soziale Kluft im Lande vertieft sich. Maßnahmen der Regierung wird es dagegen nicht mehr geben – weder ein neues 9-Euro-Ticket noch einen neuen Tankstellenrabatt noch Zuschüsse für tariflich vereinbarte Einmalzahlungen. Das Pulver ist verschossen – für die vielen Kriege, bei denen Deutschland künftig vorne mit dabei sein will.

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"Lebensmittelpreise fressen Löhne auf", UZ vom 20. Oktober 2023



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