Der Kommunist und Liedermacher Franz Josef Degenhardt

Leben und Lernen im Zeichen des humpelnden Fortschritts

Vor zehn Jahren starb der Kommunist und Liedermacher Franz Josef Degenhardt, dessen Werdegang wohl exemplarisch ist für die Geschichte der progressiven, konsequenten, das heißt kommunistischen Persönlichkeiten dieser Bundesrepublik. Los ging sein politischer Weg bei der SPD, denn: „Er glaubte an eine Parteikarriere/Zog direkt nach der Spiegel-Affäre/Als Referendar in die Landeshauptstadt/Kandidierte dort als Sozialdemokrat./Wer hat uns verraten? … Es stellten sich denen die wirklich verfügen/Schonmal wieder zur Verfügung Sozialdemokraten.“

So flog er denn auch nach zehn Jahren Mitgliedschaft 1971 aus der SPD, weil er zur Wahl der DKP aufgerufen hatte. 1972/73 verteidigte er vor Gericht, nachdem er schon einige Erfahrungen als politischer Anwalt vorzuweisen hatte und bei aller Kritik im Bewusstsein des Irr- und Holzwegs derselben, Mitglieder der RAF. Seit 1978 war er, weil er konsequent war, Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei und blieb es nach 1990, nach dem Sieg der Konterrevolution im ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden, weil er noch konsequenter war, oder, mit seinen eigenen Worten im NDR-Interview: „Ich bin sehr allergisch gegen Ein- und Austritte je nachdem wie‘s kömmt und wie der Zeitgeist es verlangt … Da gibt‘s noch einen Grund: In der DKP sind ja immer noch Kommunisten organisiert und die gehören zu einer Fundamentalopposition in diesem Land und die ist sehr wichtig. Wenn es sie nicht gäbe, fehlt etwas ganz Wichtiges in einer Gesellschaft, sie kommt nämlich dann auf den dummen Gedanken, sie sei das Happy End der Geschichte.“

Doch genug der biographischen Anekdoten, was hat er denn nun gemacht?
Relativ spät startet Degenhardts Musikkarriere, denn er ist schon 32, als sein erstes Album erscheint: „Rumpelstilzchen“. Darauf das wunderschöne Lob aufs Weintrinken, das dann, so konsequent war er wieder, „Weintrinker“ heißt. Nicht übertrieben politisch, aber gegen „Soldatenlieder“ und zumindest für das (alkoholische) Rote zu haben. Weiter geht‘s mit „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ und dem gleichnamigen, wohl bekanntesten Song Degenhardts, der so bekannt ist, dass wir lieber auf den zweitbekanntesten eingehen, namentlich „Wölfe mitten im Mai“. Veröffentlicht ein Jahr nach den ersten, wenn auch bescheidenen Wahlerfolgen der alten neuen Faschisten der NPD (die SA haben sie zu Hause gelassen, das griff dann später der „III. Weg“ wieder auf), eindeutig antifaschistisch, wenn auch noch nicht klar analysierend, mit der Wolfs-Allegorie spielend. Die Story, denn es ist ja eigentlich eine Erzählung, ist schnell beschrieben: In einem Dorf tauchen plötzlich Wölfe auf. Der Erste, der‘s gemerkt hat (August der Schäfer) wird ermordet, das Dorfhexenkind, das die Wölfe auch gesehen hatte, darf der Sorgen der Mutter wegen nichts sagen („Bist still oder du verreckst!/Wer den bösen Wolf nicht vergisst, mein Kind/bleibt immer ein Kind“) und schon findet das erste Wolfsmassaker statt, ignoriert von der kritischen Öffentlichkeit. August forderte, man müsse die Wölfe sofort bekämpfen – keiner hörte auf ihn, jetzt ist er tot und die Fascho-NPD noch heute Teil der faschistischen Bewegung in der Bundesrepublik (einziger Unterschied: Es sind noch neue faschistische Schlägertrupps und Schlächter dazu gekommen, die Farben bleiben gleich).

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„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ – Franz Josef Degenhardt (Foto: Thomas Range)

68er, gerade und Holzwege

Nun bewegen wir uns in größeren Schritten: Unter dem Eindruck der 1968er-Revolten, vor allem der Lehrlings-, aber auch der Studentenbewegung, erscheint das Live-Album, das wiederum, wir erinnern uns, er war konsequent, „Live 68“ heißt. Ob nun die tschechischen Aufstände „Ein Sprung voller Wagnis/auf eine andere Stufe des Sozialismus“ waren – der Autor bezweifelt es. Hier geht er aber mit Degenhardt konform: „Die Stalingradkämpfer,/Die Makler und Generale/Und deren Sachwalter/In Zeitungs- und anderen Häusern … Die sagen ‚das goldene Prag‘./Und wenn die Gold sagen,/Meinen die Gold./Die Herren,/Die den Vorfall in der Schweinebucht peinlich,/Den Vorfall in Santa Domingo gelungen,/Den Vorfall in Griechenland/überhaupt nicht benennen.“, mit denen macht er sich nicht einig. Diese etwas linksradikalere Phase Degenhardts, über die er später in „Nostalgia“ reflektieren wird, zeigt: „Väterchen Franz“ ist mit der progressiven Bewegung gegangen – manchmal auch auf Holzwege, aber immer reflektiert. Und auch diese Phase brachte ihre schönen Lieder mit sich, etwa mit „Gott der Pille“, reagierend auf Papst Paul VI., der sich wohl nicht bewusst war, wie viele peinliche Skandale im Bischofssitz die Pille wohl verhindert haben wird und seinen Schäfchen verbot, auf Empfängnisverhütung zurückzugreifen, weil er viele kleine zukünftig Kirchensteuer zahlende Schäfchen haben wollte. Degenhardt weiß auch was über Gott: „Das ist der Gott der Reichen/die fressen, ficken, saufen/und den Gewinn einstreichen/und sich die Pille kaufen./Doch es werden die Proleten/beenden ihre Not/und kämpfen statt zu beten./Dann stirbt auch dieser Gott.“ Ein kluger Mann.
Es muss aber nicht immer so rabiat sein, es geht manchmal auch anders, etwa mit der Geschichte des von einem Essener KPD-, später DKP-Mitglied inspirierten Genossen namens „Rudi Schulte“, der zwar seine lieben Schwierigkeiten mit der, machen wir uns nichts vor, oft genug realitätsfernen und arroganten Studentenbewegung hatte, die ihm vorwerfen, er sei ein „feiger Revisionist“. Rudi Schulte steht exemplarisch für ein Lied, das zwar politisch ist, aber nicht beim Herausplärren tagesaktueller Losungen stehen bleibt, sondern Haltungen vermittelt. Der Kommunist Rudi Schulte war im antifaschistischen Widerstand, kam dafür ins KZ, wurde trotz aller Widrigkeiten, trotz der geballten Härte der Repression der Faschisten wieder aktiv, später auch gegen die alten Faschisten, die noch in Amt und Würden der Bundesrepublik saßen. Er macht die unpopuläre Kleinarbeit, wohnt in einem Haus mit „Sofakissen, Bronze, Schäferhund“ (schlechter Stil, keine Frage), gibt die Betriebszeitung raus und träumt von der großen Reise in die noch größere Sowjetunion, wo „an der Kremlmauer Genosse Lenin lehnt und sagt: ‚Schulten Rudi: Haste gut gemacht!‘“. Schön ist das, weil es wahr ist, weil es die kommunistische Bewegung in Deutschland allegorisiert und weil es zeigt: Der Fortschritt braucht nicht nur die großen Rednerinnen und Redner, die Guerilleros, sondern auch die Leute, die an der Sache bleiben oder, mit Brecht: „Es gibt Menschen, die kämpfen einen Tag, und sie sind gut. Es gibt andere, die kämpfen ein Jahr und sind besser. Es gibt Menschen, die kämpfen viele Jahre und sind sehr gut. Aber es gibt Menschen, die kämpfen ihr Leben lang: Das sind die Unersetzlichen.“ Degenhardt war übrigens rund 33 Jahre Mitglied der DKP.

Haltungen in rückgratlosen Zeiten

Eine dieser Unersetzlichen ist auch die wiederkehrende Kunstfigur „Natascha Speckenbach“, die sich durch Degenhardts Repertoire zieht und so sehr Kunstfigur doch nicht war, weil inspiriert von echten, lebenden, kämpfenden Menschen. (Wir denken an Dath (sinngemäß): „Menschen sind aus anderen Menschen zusammengesetzt“) Speckenbach organisiert die Frauen in der Glühbirnenfabrik und Klassikerlesekreise mit ihnen, später gibt sie türkischen Frauen Deutschunterricht (ehrenamtlich). Doch wo Licht ist, das heißt, wo stabile Genossinnen sind, da ist auch Schatten: Der alte Senator, der progressiv-dynamische Jungkapitalist und natürlich Horsti Schmandhoff, die personifizierte Bundesrepublik der Opportunisten, Altnazis und Spießbürger. Der Schmandhoff kommt aus einem Bergarbeiterviertel, macht Karriere im Militär der Faschisten und erzählt seine Storys immer so, dass sie exakt in den Zeitgeist passen.Der durch die Institutionen gegangene Gegenpart, der immer „sozialliberal“ guckt, trägt keine Militär-, sondern eine Wildlederuniform. Doch auch hier geht Degenhardt, weil er konsequent ist, im Schritt der Entwicklung mit: „Aus der Schreckenskammer der deutschen Provinz/Holten wir manchen deutschen Pappkamerad:/Richter, Notar, Pfaff und Lodenrock,/Den Vati und den Sozialdemokrat,/Und die haben wir fröhlich fertiggemacht/Und haben uns dabei einen abgelacht. … Schlechte Zeiten sind das/Für Spaßmacher, Spötter und Kabarettist,/Jedenfalls dann, wenn er merkt, dass er bloß Funktionär/Fürs Pappkameraden-Abknallen ist./Die Richtigen, die kriegt er nie vor‘s Gesicht,/Und wenn mal ganz kurz – dann schießt er nicht.“

Und so geht es dann eben nicht mehr um den einzelnen Reaktionär, sondern in der „Ballade vom verlorenen Sohn“ um die verstockte Schicht der ideologisch und finanziell bestochenen, „aufgestiegenen“ Vorarbeiter der alten Bundesrepublik, die ab und an vom großen Kuchen die Krümel fressen durften: „Und in der Klasse, in der man so lebt/Diszipliniert und sehr sauber verpackt/Vater im mittleren Management.“ Der Sohn erlaubt es sich, auch mit Männern zu schlafen und auch sonst aus der Reihe zu tanzen. Systembedrohend ist das nicht, aber die Eltern glauben das und das reicht. Der Sohn wird vom Vater getötet, die Kollegen sind beruhigt, der Chef atmet auf. Miefig und stinkend, verfaulend und eingestaubt zwischen der sehr sozialpartnerschaftlichen Sozialpartnerschaft, dem sehr friedlichen Betriebsfrieden, dem sehr gewagten Mehr-Demokratie-Wagen, gezähmten und eingefangenen, weil über den Tisch gezogenen ehemals Progressiven, in ihrer zugeknöpften Blöße: Die bunte Bundesrepublik im Spiegel und zurückgeworfen.

Heiter weiter, trotzdem

Doch auch in diesen verstockten Zeiten, in denen die Geschichte keine größeren Schritte zu machen gewollt ist, weil die Schnürsenkel offen und die Schuhe längst ausgetreten sind, auch da werkeln Menschen weiter an neuen Schuhen, beziehungsweise, weil diese Schuhmetapher jetzt fast so ausgelatscht ist wie die Schuhe selbst, an dem Fortschritt dienlicher Kleinarbeit. In seinem mindestens so oft wie das „Solidaritätslied“ abgewandelten „Lied für die ich es sing“. Der Pastor, der dem Anti-AKW-Aktivisten hilft, die Richter, die die Atomraketen blockieren, die Rentnerin Rosemarie, die einen Bankräuber aus dem Orient nicht bei der Kripo verpetzt – sie alle machen Kleines aus moralischer Überzeugung, was nicht ausreicht, aber doch zumindest Ansatzpunkte liefert. „Die machen vieles so ohne Netz/Und, wenn es Not tut, auch ohne Gesetz/Und tun auch oft was ganz ungeschützt/Was ihnen gar nicht nützt. …/Einige glauben sogar daran/Dass man das alles noch ändern kann.“

Doch woher nimmt man diese Zuversicht, zumal einige Jahre später, nach der Konterrevolution im fortschrittlichen Teil Deutschlands? Degenhardt: „Und im Gedächtnis bleibt ja auch:/Letztmal gelang es 70 Jahr‘,/Während davor die Kommune schon/Nach 70 Tagen geschlagen war.“ Kurzfristiges Ziel: Die Erinnerung wach halten, die Erfahrungen aufheben. Mittelfristiges Ziel: Weiter machen und lernen. Langfristiges Ziel: ein neuer Anlauf. Wann genau der kommt, das wird sich abzuzeichnen haben, aber dass er kommt, dafür kann man sorgen, wenn man es versteht, aus der Geschichte der eigenen Kämpfe zu lernen. Das zeichnet zum einen Degenhardts Repertoire, seinen Lebensweg, seine Person aus, zum anderen hat er mit seinem Werk auch seinen Teil dazu beigetragen, dass wir das heute machen können. Und da sind wir wieder bei Haltungen: Degenhardt ist da am Besten, wo er ebensolche vermittelt, denn die sind ein bisschen zeitlos und kleines Kondensat des Kampfes für das Vorwärts. Sein Sohn singt und arbeitet weiter und Franz Josef Degenhardt hat uns viel hinterlassen, was für uns nützlich ist, und wenn es nur ist, um sich ab und an mit ein bisschen Motivation eines klugen Menschen einzudecken, der konsequent sang (nicht immer schön, aber immer passend) und konsequent lebte.

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"Leben und Lernen im Zeichen des humpelnden Fortschritts", UZ vom 12. November 2021



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