Heinz Ratz zum „Künstlerleben“ vor, in und nach der Pandemie

Leben in Wort und Musik verwandeln

Heinz Ratz, Liedermacher, Schriftsteller und Schauspieler, geboren 1968, äußert sich zu Ideen und Projekten, die er durchführen konnte oder die durch die Restriktionen erstmal liegenbleiben mussten. Auf dem letzten UZ-Pressefest diskutierte er mit anderen über die herrschende Kulturpolitik und den weiter voranschreitenden Einmarsch der reaktionären und rechten Kräfte in die Kulturinstitutionen. 2016 gründete Heinz Ratz gemeinsam mit Konstantin Wecker das „Büro für Offensivkultur“ als Bündnis von Künstlern aller Art: vornehmlich Musikern, aber auch Tänzern, Akrobaten, Clowns, Puppenspielern, darstellenden und bildenden Künstlern, die bereit sind, in kürzester Zeit auf Menschenrechtsverletzungen, Umweltdelikte und Bedrohung demokratischer Strukturen zu reagieren. 2017 spielte Ratz mit seiner Band „Strom&Wasser“ 165 Konzerte eintrittsfrei, nur auf Spendenbasis, und vornehmlich in politisch „schwierigen“ Regionen, um das Bündnis zu präsentieren und ein Netzwerk aus Unterstützern zu schaffen.

UZ: Du bist seit vielen Jahren als Liedermacher, Schriftsteller und Theatermann aktiv, entweder solo oder mit einer Musikantentruppe. Beim letzten UZ-Pressefest – viel zu lang ist es her – hast du mir erzählt, dass du eine Tournee kreuz und quer durch die ganze Republik planst, du wolltest möglichst oft auftreten und lokale Bündnisse, zum Beispiel für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, unterstützen. Was ist daraus geworden, bevor dir die Pandemie einen Strich durch die Idee machte?

Heinz Ratz: Wir waren eigentlich gut dabei und hatten etwas über 140.000 Euro gesammelt, natürlich sehr schade, dass wir unterbrochen wurden, denn so ein Projekt muss sich ja erstmal rumsprechen und Fahrt aufnehmen. Je länger es läuft, umso erfolgreicher und damit auch weniger arbeitsintensiv entwickelt es sich ja. Nun ist es sehr fraglich, ob wir das überhaupt wieder aufgreifen können, da uns jegliche Reserven fehlen, um eine so ausgedehnte Benefiz-Aktion durchhalten zu können. Aber immerhin konnten wir mit dem gesammelten Geld Jugendhäuser in Greiz, Glauchau, Schwarzenberg, Chemnitz, Döbeln, Pösneck und vielen anderen Städten unterstützen, die vor Ort eine unendlich wichtige soziale und politische Arbeit machen – gegen rechts und für eine bunte und tolerante Gesellschaft.

UZ: Das mit dem Wandern kannst du wohl nicht lassen, scheinst ein eher „unruhiger Typ“ zu sein, denn im letzten Jahr hast du angekündigt, auf den Spuren der Brüder Grimm unterwegs zu sein, um Geschichten und Erlebnisse zu sammeln und daraus ein schönes Buch zu machen. Wie weit bist du gekommen?

Heinz Ratz: Das Projekt habe ich bereits abgeschlossen. Durch den Corona-Stillstand hat sich natürlich angeboten, die plötzliche freie Zeit dafür zu nutzen. Da man aber nicht reisen durfte, bin ich einfach durch Schleswig-Holstein gewandert und habe ein Buch geschrieben mit knapp 50 kurzen Geschichten und noch mal 30 Gedichten. Das Buch ist eine Mischung aus surrenden, manchmal märchenhaften Geschichten, aber auch philosophischen Gedankengängen, politischen Gleichnissen und schlichten zwischenmenschlichen Beobachtungen. Es soll demnächst erscheinen.

UZ: Du als Solo-Selbstständiger bist ja – wie viele tausende weiterer Künstlerinnen und Künstler – voll von der Pandemie und den befohlenen Schließungen und Einschränkungen betroffen. Erst hieß es zynisch, „Ihr könnt doch Hartz IV oder Grundsicherung beantragen“, dann kam nach heftigen Protesten die Meldung, es gebe „Geldtöpfe“, man könne Anträge stellen. Wie bist du seit März letzten Jahres damit umgegangen, dass dir die Honorare fehlen? Hast du auch den Hürdenlauf durch die bürokratischen Antragsstapel gemacht oder wie kommst du zurecht?

Heinz Ratz: Na ja, ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich durch alle Unterstützungsraster falle. Ich denke schon, dass sich in den Behörden einige sehr bemüht haben, uns zu unterstützen, aber es ging leider an der „freien Szene“ vorbei. Dass nicht jeder Musiker im Orchester spielt, dass nicht jeder durch eine Agentur vertreten ist und dass eben sehr viel auch nicht in dem Sinne „nachweisbar“ ist, weil eben die Verdienste jeden Abend nach Zuschauerzahlen schwanken und nicht festgelegt wurden – das war den Geldverteilern nicht klar, denke ich. Da wurde einfach sehr naiv nach bürgerlichen oder wirtschaftlichen Maßstäben überlegt – die Kunst funktioniert aber völlig anders.

UZ: Was mir – eigentlich nicht erst seit der Pandemie – auffällt: Viele Künstlerinnen und Künstler fordern Solidarität ein, von gesellschaftlichen Gruppen, kulturwirtschaftlichen Institutionen und natürlich von staatlichen Stellen. Zu recht, denn die Wertschätzung künstlerischer Arbeit ist eher gering, gilt als Freizeitvergnügen und höchstens Stars und Sternchen werden gepampert. Reicht es aus, Appelle zu schreiben, Online-Petitionen zu initiieren oder zu unterschreiben?

Heinz Ratz: Ich denke mal, das ist ein psychologisches Dilemma für viele Künstler, denn wir leben ja in einer Welt, in der uns jeden Abend gesagt wird, wie großartig und wichtig und unersetzlich wir sind, und dann kommt die Pandemie und niemand vermisst uns wirklich. Glücklicherweise (falls das ein Glück ist, ich bin mir nicht sicher) betrachte ich das schon immer sehr nüchtern und weiß, dass die Kunst ein Luxus des Wohlstands ist und die allermeisten Menschen sich ihr erst widmen, wenn die Brötchen im Bauch sind, das kühle Bier ebenfalls, die Frisur richtig sitzt, der Wagen in der Werkstatt war und so weiter. Möglicherweise tut das manchem Kollegen, mancher Kollegin ganz gut, der/die bisher auf Wolke sieben herumschwebte. Mich selber hat das nicht besonders überrascht und getroffen eigentlich auch nicht, denn ich mache meine Kunst nicht, um Anerkennung zu bekommen, eher im Gegenteil, eher, um zu provozieren, aber im tiefsten Grunde eigentlich, weil ich es so schön finde, das Leben durch mich durchfließen zu lassen und in Melodie und Wort zu verwandeln. Man ist unverletzlich, wenn man so denkt, und mich persönlich wird die Gleichgültigkeit der anderen niemals davon abhalten, ein Lied zu schreiben.

UZ: Mir fällt leider auch auf, dass das solidarische Handeln unter den Künstlerinnen und Künstlern auch nicht durchgängig Praxis ist. Graben- und Revierkämpfe sind nicht selten, schließlich kämpft jeder/jede um einen Platz, um Bühnenauftritte, will der „Haupt-Act“ des Programms am Abend sein. Hast du eine Idee, wie dem begegnet werden könnte?

Heinz Ratz: Nein. Hab keine Idee. So ist der Mensch eben. Und ein Berufszweig, in dem es ständig um das eigene Ich geht, in dem man nur Erfolg hat, wenn man sich möglichst klug, schön, tiefsinnig, witzig, einzigartig, allen anderen überlegen präsentiert, ist natürlich wunderbar geeignet, um Egoisten hervorzubringen. Mich ermüdet das schon lange und ich finde diesen Aspekt im großen Kulturbetrieb auch fürchterlich langweilig.

UZ: Vor kurzem hast du mir erzählt, du hättest die „tote Zeit“ seit letztem Frühjahr genutzt, um ein „Überlebensmobil“ gemeinsam mit Freunden herzurichten. Damit wollt ihr, wenn möglich, auf Tour gehen. Was habt ihr gemacht, wie weit seid ihr?

Heinz Ratz: Wir sind startklar. Durch die tolle Unterstützung vieler Menschen war es mir möglich, einen Oldtimer-Mercedes-Pritschenwagen zu kaufen und eine mobile Bühne draufzubauen, mit eigener Stromversorgung, eigener Tontechnik, eigenem Licht – wir haben das in Rekordzeit hinbekommen. Nun steht er sich leider in einer Garage die Reifen platt – das ist schade, denn wir haben ein Konzept entwickelt, das selbst unter strengsten Corona-Auflagen Kultur und Konzerte möglich machen würde. Immerhin sieht es ja so aus, als könnten wir bald schon loslegen. Einen schönen Namen haben wir für unsere rollende Bühne auch: „Der Lümmel“ – das Liedermacher-Überlebens-Mobil. … Übrigens ist der Lümmel sozial gedacht und soll nicht nur uns, sondern möglichst vielen Künstlern als Bühne dienen, das heißt, egal in welcher Stadt wir damit auftreten, laden wir immer Gastmusiker und andere Bands ein, mit uns zu spielen.

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"Leben in Wort und Musik verwandeln", UZ vom 19. März 2021



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