Die Ostermärsche fallen in eine Zeit der erneuten Zuspitzung der Kriegsgefahr. UZ sprach mit Jutta Kausch-Henken von der Friedenskoordination Berlin (Friko) über den Stand der Friedensbewegung, die drohende „politische Eiszeit“ und die Wirkung des Berliner Appells.
UZ: Vor zwei Wochen sind rund 4.000 Menschen gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Wiesbaden auf die Straße gegangen. Ein gutes Omen für die kommenden Ostermärsche?
Jutta Kausch-Henken: Wir sind ja von Natur aus optimistisch. Wie sonst hätten wir so lange gegen den Mainstream durchgehalten? 4.000 Menschen für eine bundesweite Demo in diesen bedrohlichen Zeiten sind noch keinen Hurraschrei wert. Aber ja, es war eine bunte, lebendige, von jungen Leuten angeführte Demo durch die beschauliche Stadt. Die Stimmung war gut. Das macht schon etwas Mut. Die Anzahl der angemeldeten Ostermärsche im Vergleich zum Vorjahr deutet aber leider noch nicht darauf hin, dass die Friedensbewegung aus ihrer Blase rausgekommen ist.
UZ: Während die Vorbereitungen laufen, steht eine schwarz-rote Koalition in den Startlöchern, um Friedrich Merz zum Kanzler zu wählen. Was kommt da auf uns zu?
Jutta Kausch-Henken: Eine ziemlich fette Katze hat Merz ja bereits aus dem Sack gelassen: Wahlversprechen gelten nix! Das ist nicht wirklich was Neues, aber in der jetzt erlebten Dreistigkeit schon. Weil das Volk nicht so gewählt hat, dass es verlässliche Mehrheiten in der neuen Regierung gibt, muss eben die alte noch mal ran. Auf die Sozis und die Olivgrünen ist ja Verlass. Mit denen peitscht man noch schnell eine Grundgesetzänderung durch. Unfassbar. Jetzt verlangt Söder die Anschaffung von Kamikaze-Killerdrohnen für die Bundeswehr. Dem wird die neue Regierung sicher zustimmen. Auch unfassbar.
Ja, wir bewegen uns – trotz Klimaerwärmung – auf eine politische Eiszeit zu. Jetzt gibt es gar keine Stimme mehr im Bundestag, die sich verlässlich für Frieden, Diplomatie und Abrüstung stark macht. Denn die „Linken“ sind in ihrer Haltung doch, gelinde gesagt, recht sprunghaft. Die außerparlamentarischen Kräfte müssen sich nun Gehör verschaffen, aufklären, Fakten liefern, mit den Menschen ins Gespräch kommen, in den Gewerkschaften, in der Uni, am Arbeitsplatz, in der Familie, überall.
UZ: Sowohl in der EU als auch in Deutschland sollen unvorstellbare Summen in Aufrüstung und Kriegsvorbereitung fließen. Der Bevölkerung, die die Rechnung dafür bezahlen soll, wird diese Politik als alternativlos verkauft. Was können wir dem entgegensetzen?
Jutta Kausch-Henken: Unsere Vernunft und gute Argumente. Wir müssen die immer wieder missbrauchte Vokabel der Alternativlosigkeit demontieren, mit Fakten und Belegen. Diese gibt es ja durchaus, nur kommen sie eben nicht zu Wort in den nun endgültig zum Sprachrohr der Herrschenden gewordenen verkommenen öffentlichen Medien. Das mantramäßig immer wiederkehrende „Der Russe bedroht uns“ braucht keinen Beleg und keine Fakten. Es reicht die Behauptung. Und die wird uns auf allen Kanälen täglich, stündlich, minütlich immer wieder präsentiert.
Selbst hochrangige Militärs bezweifeln, dass Russland Europa angreifen will: Ex-NATO General Harald Kujat sagte am 27. März in einem Vortrag in Malchow, „Es kann nicht sein, dass immer nur nebulös und ohne jeden Beleg über eine drohende Kriegsgefahr spekuliert wird“, und schließt sich der Einschätzung von sieben führenden US-Nachrichtendiensten an, die einen Angriff Russlands für nicht wahrscheinlich halten. Und Oberst a. D Wolfgang Richter sagte bei Telepolis zehn Tage zuvor:„Ich halte die Angriffsabsicht für nicht nachweisbar.“
Doch das Feindbild Russland wird gebraucht, um von der Bevölkerung die Zustimmung für die unlimitierten Rüstungsausgaben genauso wie für die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu erhalten.
Auf EU-Ebene läuft das genauso. Haben wir seit Beginn des Krieges in der Ukraine jemals aus europäischen oder deutschen Regierungsverlautbarungen das Wort Diplomatie gehört? Oder gar ernstzunehmende, glaubwürdige Vermittlerangebote wahrgenommen? „Die Trägerin des Friedensnobelpreises EU lehnt es seit nunmehr zwei Jahren rundheraus ab, die europäische Erfindung der Diplomatie zur Befriedung ihres eigenen Kontinentes einzusetzen, und zieht es stattdessen vor, sich mit einem Geld, das zu gleichen Teilen geliehen (Finanzmärkte), gestohlen (russisches Staatsvermögen) und selbstgebastelt ist (EZB-Kartoffeldruck), für denselben ‚großen Konflikt‘ zu rüsten, den aufzuhalten sie sich gleichzeitig beharrlich weigert“, schreibt Martin Sonneborn auf seiner Seite. Kann man es besser ausdrücken?
Was wir gegen all den Wahnsinn setzen können, sind unsere nicht nachlassenden Bemühungen, die Meinungshoheit zu erlangen, die noch schweigenden Menschen zu gewinnen, sich uns anzuschließen.
UZ: Du gehörst zu den Erstunterzeichnerinnen des Berliner Appells, der zu einem wichtigen Ankerpunkt der Friedensbewegung geworden ist. Wie lautet dein Zwischenfazit, rund sechs Monate nach Veröffentlichung?
Jutta Kausch-Henken: Wir stehen nach wie vor am Anfang. Die geplante Stationierung der Mittelstreckenwaffen ist eine weitere Eskalation, die zu einer noch weitaus unsichereren Lage in Europa führt, als das sowieso heute schon der Fall ist. Diese Waffen setzen Russland in einen Daueralarmzustand. Die Alarmsysteme und auch die Silos der Interkontinentalraketen sind Angriffsziele dieser Waffen, die so schnell sind, dass sie nicht abgefangen werden können. Die Dark Eagle ist eine Enthauptungswaffe. Das ist nach wie vor in der Bevölkerung nicht bekannt.
Wir sehen in der Arbeit mit dem Berliner Appell aber mehr, als „nur“ Unterschriften zu generieren. Wir kommen damit ins Gespräch, auch über all die anderen Bedrohungen: die unsinnige Hochrüstung, die mit nichts belegte Angst vor einem Angriff Russlands, die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das haben die sechs Monate gezeigt. Die Arbeit zeigt aber leider auch immer wieder, dass Menschen sich oft nicht trauen zu unterschreiben, aus Angst, sie könnten dadurch persönliche Nachteile erfahren. So weit ist es schon mit der Selbstzensur.
UZ: Die Friko Berlin organisiert wieder den Berliner Ostermarsch. Was erwartet die Besucherinnen und Besucher in diesem Jahr?
Jutta Kausch-Henken: Wir rufen in diesem Jahr nach Kreuzberg. Wir gehen jedes Jahr in einen anderen Stadtteil. Immer im Wechsel, einmal im Osten, einmal im Westen. Es ist doch ein langer, beschwerlicher Weg des Zusammenwachsens! Wir freuen uns über Reden von Wiebke Diehl (Journalistin mit Schwerpunkt Westasien), Lühr Henken (Ko-Sprecher Bundesausschuss Friedensratschlag), Mark Ellmann (GEW München). Das Jugendbündnis „Nein zur Wehrpflicht“ und Eye4palestine schicken Vertreterinnen und voller Freude begrüßen wir auch den Kabarettisten Arnulf Rating.
UZ: Vor zwei Jahren haben wir uns an dieser Stelle unterhalten, nachdem die Friko mit einer Schmutzkampagne und dem undefinierten Vorwurf der „Rechtsoffenheit“ überzogen worden war. Ähnliche Spaltungsversuche gab es auch in anderen Bundesländern, inzwischen ist es leiser geworden. Hat sich die Friedensbewegung sortiert?
Jutta Kausch-Henken: Sie ist dabei. Wir sind an verschiedenen Stellen ins Gespräch gekommen. Jedoch gibt es immer noch Anwürfe. Das schwächt die Bewegung, aber wir sehen mit Hoffnung in die Zukunft, dass wir uns mit allen, die Frieden ernsthaft wollen, verbinden werden. Es bleibt uns gar keine andere Wahl, wenn unser „Nein!“ lauter werden soll als die Kriegslüsternheit und der Ausverkauf von Demokratie und Sozialstaat durch die Herrschenden.