William Dountio ist enttäuscht. Zum Prozessauftakt habe Richter Thomas Kelm noch nach dem Verbleib der Nebenkläger gefragt, erinnert er sich. Heute saßen Sidy und Lassana Dramé endlich im Saal des Landgerichts Dortmund, doch Kelm war das keine Silbe wert. Das Gericht, findet Dountio, verhalte sich respektlos gegenüber Familie Dramé – und der Öffentlichkeit.
Dountio ist Sprecher des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed. Dieser Zusammenschluss Dortmunder Antirassisten hat Spenden gesammelt, um den Brüdern Dramé die Teilnahme an dem Prozess gegen fünf der Polizisten zu ermöglichen, die an dem Einsatz beteiligt waren, an dessen Ende ihr Bruder Mouhamed tot war.
Auch der vierte Prozesstag beginnt mit großer Verspätung, fast einer halben Stunde. Noch immer ist das Landgericht Dortmund mit den Sicherheitsmaßnahmen überfordert, die es selbst erlassen hat. Immerhin werden die Personalausweise der Besucher nicht mehr gescannt. Doch daran, erzählt ein Besucher im Gespräch mit UZ, mussten die übereifrigen Justizbeamten erinnert werden.
Sidy und Lassana Dramé sitzen in Winterjacken auf ihren Plätzen. Sie behalten sie die ganze Zeit an. Rechtsanwältin Lisa Grüter und Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes sitzen links und rechts von ihnen, dazwischen der Dolmetscher. Er hat den schwierigsten Job heute: Der Vorsitzende Richter Thomas Kelm liest lapidar, nachlässig und etwas gelangweilt Ermittlungsprotokolle der Polizei Recklinghausen vor. Sie sind gespickt mit polizeiinternen Abkürzungen. Der Dolmetscher übersetzt simultan ins Wolof. Die Verfahrensbeteiligten sehen Fotos dazu. Besucher und Pressevertreter müssen ohne auskommen. Für sie ist es entsprechend schwieriger, den trockenen Protokollen zu folgen.
Nebenklagevertreter Thomas Feltes beantragt zu Beginn der Verhandlung, die Regierungsbeschäftigte B. als Zeugin zu laden. Sie war für die Erstellung von 3D-Laserdaten des Tatorts verantwortlich. Mittels dieses 3D-Modells will Feltes beweisen, dass 15 Zeugen beobachten konnten, wie polizeiliche Maßnahmen am Tatort vorbereitet und durchgeführt wurden. Das Modell kann mittels 3D-Brille virtuell begangen werden. So können Sichtfelder der Zeugen, Bewegungen und Schussrichtungen rekonstruiert werden. Es sei „unabdingbar“, dass diese Erkenntnisse in der Hauptverhandlung verwendet würden. Das Modell solle auf Bildschirmen gezeigt werden.
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert empfiehlt, den Antrag „zum jetzigen Zeitpunkt“ abzulehnen. Erst müssten die Zeugen gehört werden. Mit ähnlich schwacher Argumentation beantragen zwei der Strafverteidiger der Angeklagten, den Antrag zurückzuweisen. Der Einsatz des 3D-Modells sei rechtlich fragwürdig, da es nur „erinnerte Wirklichkeit“ widerspiegele. Nun, genau das ist ja der Punkt…
Richter Kelm erklärt, zu „gegebenen Zeitpunkt“ über den Antrag der Nebenklagevertreter zu entscheiden.
Ähnlich verfährt er mit einem Antrag Sidy Dramés, den Lisa Grüter vorträgt. Sidy bittet darum, sichergestellte persönliche Gegenstände Mouhameds ausgehändigt zu bekommen, die nicht Teil des Verfahrens sind. Was eine Halskette des jugendlichen Opfers angehe, habe er keine Bedenken, sagt Kelm. Den Rest gebe es erst mal nicht.
Nach nicht einmal eineinhalb Stunden ist der vierte Verhandlungstag vorbei. Grüter und Feltes schirmen Sidy und Lassana Dramé vor den Medienvertretern ab. Im UZ-Gespräch erzählt Lisa Grüter später, dass sie die Brüder des Opfers als „gesammelt“ erlebt habe. Für die beiden sei es ein schwieriger Tag gewesen: Zum ersten Mal seien sie in einem Gerichtssaal gewesen, zum ersten Mal hätten sie den Polizisten in die Augen geschaut, nach deren Einsatz ihr Bruder tot war. Sidy und Lassana seien der Presse und vor allem den Unterstützern aus dem Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gegenüber sehr dankbar. Wie William Dountio hat auch Grüter „nicht das Gefühl, dass auf die Anwesenheit der Familie Rücksicht genommen wird“.
Einmal mehr in Täter-Opfer-Umkehr übte sich Christoph Krekeler, der Strafverteidiger des mutmaßlichen Todesschützen. Gegenüber „RuhrNachrichten“ sagte er nach der Verhandlung: „Mein Mandant stand heute unter einem ganz erheblichen Druck. Er musste den Angehörigen der Familie Dramé in die Augen schauen, die ihren Bruder, ihren Sohn verloren haben. Und auf beiden Seiten habe ich dort Traurigkeit gesehen.“ Dabei betont Krekeler „beiden“. Tatsächlich schaute sein Mandant Fabian S. stur an Mouhameds Brüdern vorbei. Betroffenheit, Mitgefühl oder Traurigkeit war in seinem Gesicht nicht zu lesen.
Nach dem vierten Prozesstag ist immer noch nicht erkennbar, in welche Richtung Richter Thomas Kelm den Prozess zu lenken gedenkt. Respektlosigkeit und gewollte Intransparenz allerdings scheinen gesetzt.
Der Prozess wird am Mittwoch, den 21. Februar fortgesetzt.
UZ berichtete bereits über den ersten, zweiten und dritten Verhandlungstag. Unsere Berichterstattung zum Polizeimord an Mouhamed Lamine Dramé haben wir hier gesammelt.