80 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus werden Befreier von Gedenkfeiern ausgeladen, wird Geschichtsfälschung betrieben und Russland wieder zum Feind erklärt. Die Initiative „80. Jahrestag der Befreiung. Wir sagen Danke!“ organisiert am 3. Mai eine politisch-kulturelle Gedenkveranstaltung in Berlin, auf der Nachfahren der Befreier herzlich eingeladen sind und Frieden sowie gute Nachbarschaft mit Russland ausdrücklich im Zentrum stehen. Darüber sprach UZ mit Christiane Reymann. Die Journalistin und frühere UZ-Redakteurin organisiert die Veranstaltung mit.
UZ: Was hat dich und euch dazu bewogen, diese Gedenkfeier zu organisieren?
Christiane Reymann: Es gibt ja zum Glück nicht nur eine Veranstaltung von links zum 80. Jahrestag der Befreiung. Jede einzelne ist wichtig! Das Besondere an unserer ist, dass es eine dezidiert politisch-kulturelle Kundgebung ist, im Herzen Berlins, am sowjetischen Ehrenmal in Berlin Tiergarten, in Sichtweite von Reichstag und Brandenburger Tor. Und genau das wollen wir: Sichtbar sein, laut Danke sagen, im Gegensatz und in Opposition zu all denen, die Russland – wieder! – zu unserem Feind machen wollen.
UZ: „Die Schrecken, die Unmenschlichkeit, ja der Zynismus der deutschen Faschisten waren beispiellos“, schrieb der Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel kürzlich in einem Offenen Brief an Axel Drecoll, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Es gibt nicht mehr viele lebende Zeitzeugen der deutschen faschistischen Barbarei. Ihr habt eine von ihnen eingeladen: Ljudmilla Sirota, Überlebende der Blockade Leningrads. Geht das Wissen über die beispiellose Grausamkeit der Faschisten verloren?

Christiane Reymann: In Westdeutschland war es leider ohnehin kaum verbreitet. Das ist in der ehemaligen DDR, wo ich seit der Wende lebe, deutlich anders. So oder so ist die Erinnerungskultur wesentlich: Ohne Kenntnis unserer Vergangenheit erschließen wir uns keine Zukunft, eine friedliche schon gar nicht! Ljudmila Sirota ist 95 Jahre alt, sie hat für uns auf 20 Seiten mit der Hand und in deutscher Sprache (!) ihre Erinnerungen an die Blockade aufgeschrieben. Das ist ein unschätzbar wertvolles Geschenk. Wir werden dieses Dokument auf unserer Website veröffentlichen.
In der dominanten politischen und der Öffentlichkeit, sogar in Teilen von Gedenkstätten und Ausstellungen, geschieht derzeit etwas Dramatisches: Geschichte wird nicht nur ausgelöscht, die Leere wird zugleich mit Geschichtsfälschung gefüllt. In einigen Staaten Osteuropas werden Denkmäler aus jener Zeit gestürzt und Soldatenfriedhöfe geschändet – unter Beifall des Europäischen Parlaments! Hierzulande steht dem materiellen Bildersturm derzeit noch der Zwei-plus-Vier-Vertrag entgegen. Umso beharrlicher wird das Auslöschen und Umprogrammieren der Erinnerung betrieben.
UZ: Ihr schaltet den Politologen Vladislav Belov per Video zu. Belov ist Stellvertretender Vorsitzender des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften. Wie wird die Ausladung unserer Befreier von offiziellen Gedenkveranstaltungen in der BRD in Russland wahrgenommen?
Christiane Reymann: Das wird dort sehr wohl und als ganz bitter wahrgenommen. Es vertieft das Misstrauen, berechtigterweise. Vladislav Belov macht einen Unterschied zwischen den Menschen, die ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zu Russland anstreben und denjenigen, die das zerstören. Den ersteren wendet er sich freundschaftlich zu.
UZ: Mit Alexander von Bismarck habt ihr einen Redner eingeladen, den man nicht auf einer Feier zur Befreiung vom Faschismus erwarten würde. Warum habt ihr ihn eingeladen?
Christiane Reymann: Der Urgroßonkel von Alexander von Bismarck war jener Reichskanzler, stock-konservativ, aber überzeugt: Nicht ohne Russland! Sein Nachfahre ist ein umtriebiger Geschäftsmann und ein unkonventionell denkender Mensch, also genau der richtige für diese Kundgebung. Besonders in Kombination mit Egon Krenz, dem letzten Staatschef des einzigen deutschen Staates, dessen Armee nie im Ausland oder im Krieg eingesetzt war.
UZ: Ein hochkarätiges Kulturprogramm rundet eure Gedenkfeier ab. Auf wen freust du dich besonders?
Christiane Reymann: Auf jeden und auf alle zusammen! Gerade die Kombination lässt die jeweils Einzelnen strahlen.
UZ: Rechnet ihr mit polizeilicher Repression?
Christiane Reymann: Die Polizei verhält sich bislang korrekt. Welche Auflagen die Versammlungsbehörde erlässt, wissen wir noch nicht. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie denen des vergangenen Jahres gleichen, also: Nichtn „Heiliger Krieg“ singen, keine russischen oder sowjetischen Fahnen, und so weiter. Das sind Schikanen aus dem Baukasten einer unsouveränen Politik.
80. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus
Wir sagen Danke!
Frieden!
Gute Nachbarschaft mit Russland!
3. Mai 2025
14 bis 16.30 Uhr
Sowjetisches Ehrenmal im Tiergarten
Straße des 17. Juni
Berlin
Musik:
Tino Eisbrenner
Jens und Alexa Fischer Rodrian
Helena Goldt
Hartmut König
Vlad Mayer
Quijote
Michael Seidel
Tobias Thiele
Karsten Troyke
Wort:
Alexander von Bismarck
Egon Krenz
Inge Pardon und Lisa Tulpanowa-Bezold
Marleen Scheel
Heinz Wehmeier
Laura von Wimmersperg
Per Video:
Vladislav Belov
Gabriele Krone-Schmalz
Ljudmilla Sirota
Der Flyer zur Veranstaltung: