Zum bevorstehenden BRICS-Gipfel in Kasan

Langsam dämmert’s

Nur selten bricht sich in den Medien der imperialistischen Staaten offen die Sorge Bahn, dass es eines Tages mit der auf militärischer und ökonomischer Gewalt basierenden Dominanz zu Ende gehen könnte. Stattdessen nimmt man eine zwischen die Zeilen gepresste Angst wahr, wenn man die Kommentare liest, die sich (indirekt) um eine neue Weltordnung drehen. Musste man vor fünfzehn Jahren noch darüber rätseln, warum sich zu China und der Russischen Föderation unerklärlicherweise befreundete Schwergewichte wie Indien und Brasilien gesellten, so stellt sich die Lage mit der 2024er Erweiterung zu BRICS+ weit unangenehmer dar. Politisch, weil BRICS+ bei seinem Gipfel im russischen Kasan kommende Woche weiter wachsen könnte; wirtschaftlich, weil sich eine neue Weltordnung inzwischen mit der Arbeit an einem zum US-Dollar alternativen Zahlungssystem materialisiert.

Unerklärlich sind Dinge dann, wenn es an materialistischen Maßstäben zu ihrer Bewertung fehlt. Und wenn man das auf der Ausbeutung anderer beruhende Wirtschaftssystem als eine allseits akzeptable Ordnung ansieht – während man sein eigenes System demokratisch nennt und moralische Kategorien für Politik hält und diese noch dazu für allgemeingültig erklärt.

Dann zieht jeder Zuwachs für BRICS oder andere, wenn auch nur objektiv antiimperialistische Zusammenschlüsse unweigerlich einen Beißreflex nach sich, der ehemals befreundete Staaten umetikettiert: „autokratisch“, „Russland-freundlich“ und so weiter. Meist ist es die Irrationalität des Gegners, die die Prozesse radikalisiert – sie verprellt Länder, die nichts weiter als den Versuch unternehmen, ihren Außenhandel auf eine breitere Grundlage zu stellen. So ist beispielsweise die Entscheidung Kolumbiens zu verstehen, wie schon andere lateinamerikanische Länder um Aufnahme in die Infrastruktur fördernde Seidenstraße zu bitten.

BRICS dagegen bedroht den US-Dollar mit dem Währungsstreit frontal. Sollten die Türkei, Kolumbien oder Bolivien in Kasan aufgenommen werden, schleichen sich weitere, einst die ungerechte Ordnung stabilisierende Länder aus dem westlichen Radar. Dass Kuba, Syrien und Venezuela ebenfalls in BRICS+ streben, ist auf der anderen Seite eine Reaktion auf Sanktionen aller Art.

Den US- und EU-Medien wird das alles unerklärlich bleiben. Aber dem imperialistischen Kapital dämmert’s.

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"Langsam dämmert’s", UZ vom 18. Oktober 2024



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