Tarifergebnis Post: Ökonomische Auswirkungen

Langfristig gefesselt

Tim Laumann

Zur Bewertung eines Tarifergebnisses gehen wir zunächst davon aus, was es in den Taschen der Kolleginnen und Kollegen bedeutet. Dann analysieren wir, wie der Tarifkampf geführt wurde und was dieser Kampf in den Köpfen und Herzen bewirkt hat. Wurden das Klassenbewusstsein und die Organisiertheit der Arbeiterinnen und Arbeiter im Rahmen des gewerkschaftlichen Kampfes gestärkt? Im dritten Schritt sehen wir uns die politischen Bedingungen an, unter denen Tarifkämpfe stattfinden. Auch hier ist die Frage, ob Erkenntnis- und Bewusstseinsfortschritte erzielt werden konnten.
Blicken wir auf das Tarifergebnis bei der Deutschen Post AG: Nach drei Nullmonaten (Januar bis April 2025) gibt es 2 Prozent mehr Geld ab April 2025, ab April 2026 sind es 3 Prozent mehr. Bei der weit verbreiteten Entgeltgruppe 3 (Zusteller), Gruppenstufe 1 (kurze Berufserfahrung, man beginnt mit der Gruppenstufe 0), macht das im ersten Jahr eine Steigerung von 2.852,22 auf 2.909,26 Euro. Im zweiten Jahr steigt das Gehalt von 2.909,36 auf 2.996,65 Euro. Wir sprechen hier von einer Steigerung um 140 Euro über einen Zeitraum von zwei Jahren – alles vor Steuern, die gehen davon noch ab. Damit landen wir bei 80 bis 90 Euro mehr pro Monat nach zwei Jahren.

Die offizielle Inflationsrate liegt derzeit bei 2,2 Prozent. Es besteht die Wahrscheinlichkeit weiterer Preissteigerungen für die Kolleginnen und Kollegen (Militärkosten explodieren, krisenhafte Entwicklung, mögliche Anhebung der Massensteuern, tatsächliche Lebenshaltungskosten …). Dazu kommen weitere Kosten durch den Abbau des Sozialstaats parallel zur Militarisierung. Insgesamt stehen wir also vor einem weiteren Reallohnverlust, was sinkende Kaufkraft bedeutet.

Die Perspektive für einen Ausgleich künftiger zusätzlicher Belastungen ist schlecht. Denn in den kommenden zwei Jahren gilt die Friedenspflicht. Klar ist: Die Laufzeit des Tarifvertrags ist viel zu lang, mehr als doppelt so lang wie die von ver.di zu Beginn geforderten 12 Monate.

Ein weiterer Aspekt des Tarifergebnisses: Ein Urlaubstag mehr und ein weiterer Tag ab 16 Jahren Betriebszugehörigkeit. Das wird als ein Ergebnis des Kampfes „für Entlastung“ verkauft. Real ist dieser Tag wenig wert. Allein bei der Dienstplan-Umstellung wegen freier Montage kamen zwei zusätzliche Urlaubstage herum. Doch eine Entlastung geht damit nicht einher. Im Gegenteil, die Urlaubstage sind bei gegebener Unterbesetzung Anlass zu weiterer Flexibilisierung: Zustellbezirke werden schlicht aufgeteilt, ohne zusätzliches Personal einzusetzen. Und was den zusätzlichen Tag Urlaub ab 16 Jahren Betriebszugehörigkeit betrifft, so ist festzustellen, dass diese kaum noch durchgehalten werden, also nur wenige davon profitieren.

Dazu kommt, dass die Beschäftigten mit einem zusätzlichen Urlaubstag insgesamt über 30 Tage Urlaub haben. Die Post hat bereits angekündigt, dass sie die Möglichkeit schaffen will, sich diesen Tag Urlaub ausbezahlen zu lassen. Das wäre ein weiterer Schritt in Richtung Individualisierung.

Was laut Tarifergebnis bestehen bleibt, ist die Postzulage für Beamte. Dass die Beamten bei den Forderungen mit einbezogen wurden, ist ein nettes Zeichen. Doch ihre Zahl sinkt immer weiter.

Gerade in der angespannten Situation, die vor der Zerschlagung des Post-Konzerns herrscht, kehrt nun Ruhe ein. In die Laufzeit des neuen Tarifvertrags fällt ein großer Teil der „Umstrukturierung“ – wie die Konzernzerschlagung genannt wird. Auch werden in dieser Zeit weitere Schritte des deutschen Imperialismus hin zur Kriegstüchtigkeit gegangen.

Darüber hinaus laufen die Schutztarifverträge bis dahin aus. Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und der Ausschluss von Fremdvergabe sind bis maximal 2027 sichergestellt. Eine Verlängerung wird nun zusammen mit der kommenden Lohnrunde und mit einer geschwächten Gewerkschaft durchgekämpft werden müssen. Und auch die Aufweichung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit, wie sie die Regierungskoalition derzeit plant, wird dank langer Tarifvertragslaufzeit und Friedenspflicht ohne den Widerstand streikender Postler umgesetzt werden können. Der Tarifvertrag wird sich als Fessel erweisen.

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"Langfristig gefesselt", UZ vom 11. April 2025



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