Israel annektiert weitere Teile der Westbank

Landraub in großem Stil

Noch nie seit den Oslo-Abkommen von 1993, die Grundlage für ein Friedensabkommen zwischen Palästinensern und Israelis sein sollten, gab es in Palästina einen Landraub in diesem Umfang. 1.200 Hektar Land wandelte die israelische Regierung kurzerhand in „Staatsland“ um und enteignete damit palästinensischen Besitz. Dieses Land steht Israel damit zur Verfügung, um weitere Siedlungen zu bauen oder bestehende auszuweiten. Und diese 1.200 Hektar sind nur ein kleiner Teil dessen, was an faktischer Annexion des Westjordanlandes geschieht.

Im Februar und März dieses Jahres wurden bereits 1.000 Hektar als „Staatsland“ annektiert, bis Ende des Jahres werden vermutlich noch einmal 1.000 Hektar dazukommen. Zusätzlich hat die oberste Planungsbehörde, die jeden Siedlungsbau zulassen muss, angekündigt, sie werde 5.000 neue Wohneinheiten genehmigen.

Der zuständige Finanzminister Bezalel Smotrich, der im Rahmen des Verteidigungsministeriums zivile Angelegenheiten der Westbank regelt, gratulierte sich auf X selbst. Die 5.000 Wohneinheiten stünden für den Aufbau Israels – und für die Verhinderung eines palästinensischen Staates.

Um die Annexion von palästinensischem Land zu beschleunigen, hat Smotrich einen Umbau der Verwaltung und die Verschiebung von Entscheidungsbefugnissen von der Armee hin zu zivilen Einrichtungen veranlasst. Das sei ein „mega-strategischer“ Umbau, zitierte ihn die Organisation „Peace Now“. Mit diesem Umbau wolle die Regierung bis Jahresende 1.000 bis 1.500 weitere Hektar in Staatsland umwandeln. Ziel sei, die Zahl im Vergleich zum Durchschnitt früherer Jahre zu verzehnfachen.

Landenteignung und Siedlungsbau werden von vielen Beobachtern als Meilensteine auf dem Weg zur Verhinderung einer Zweistaatenlösung gesehen. Doch damit ist der Gipfel der Annexionspolitik noch lange nicht erreicht. Denn der rechtsextreme Smotrich ist mit seiner Politik weder in der Regierung noch in der Knesset isoliert.

Vor seinem Auftritt vor dem US-Kongress erhielt Benjamin Netanjahu Rückendeckung aus der Knesset. 63 Abgeordnete erklärten in einen Brief – wie Smotrich und bei Gelegenheit auch Netanjahu – offen ihre kategorische Ablehnung eines palästinensischen Staates „westlich des Jordan“ und „im Herzen des Landes Israel“. Es waren Abgeordnete von acht Parteien, sowohl der Regierungskoalition als auch der Opposition.

Womöglich lehnen sie sogar das Existenzrecht von Palästinensern „im Herzen des Landes Israel“ ab. Nichtstaatliche Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser auf der Westbank hat nach dem 7. Oktober deutlich zugenommen. Einrichtungen der Vereinten Nationen haben seitdem 1.000 Angriffe von Siedlern gezählt. Drohungen und Angriffe haben seit Oktober 2023 hunderte Palästinenser vertrieben, allein letzte Woche zählte die israelische Zeitung „Haaretz“ sechs Angriffe.
Und Armee und Luftwaffe setzen auf der Westbank alle Mittel ein. Drohnenangriffe, hunderte Soldaten im Einsatz, schwarzer Rauch, der von den Straßen aufstieg, Bulldozer, die in engen Straßen rücksichtslos alles beiseite fegten, um den Fahrzeugen der Armee freie Bahn zu gewähren – das war das dichtbesiedelte Dschenin dieser Tage. Und so sieht es immer wieder in allen palästinensischen Orten der Westbank aus.

Das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten zählte seit dem 7. Oktober 539 Palästinenser, die auf der Westbank von israelischen Streitkräften getötet wurden, darunter 131 Kinder.

Die Aktionen von Militär, Verwaltung und Siedlern gehen Hand in Hand. Sie verhindern eine künftige Zweistaatenlösung – ganz wie es die Mehrheit der Knesset-Abgeordneten will.

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"Landraub in großem Stil", UZ vom 12. Juli 2024



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