Blanker Zynismus und totale Ignoranz prägen die Vorschläge für eine neue Asyl- und Migrationspolitik der Europäischen Union, die von der EU-Kommission in der vergangenen Woche in Brüssel vorgelegt wurden. Ziel ist eine politische Einigung der Staats- und Regierungschefs bis Ende des Jahres. Weil Deutschland derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, leitet Bundesinnenminister Horst Seehofer die Verhandlungen. Im Vorschlag der EU-Kommission sieht der CSU-Politiker eine „gute Grundlage“.
Das neue System soll laut EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen das Vertrauen der Bürger in die Fähigkeiten der EU wiederherstellen, Migration zu „managen“. Doch schon jetzt ist klar, der „Neue Pakt zu Migration und Asyl“ wird weder vorhandene Probleme lösen noch eine Solidarität bei Asylverfahren unter den EU-Staaten erreichen. Im Kern schreiben die Pläne das Hotspot-System an den EU-Außengrenzen fest, für dessen Scheitern sinnbildlich das gerade abgebrannte Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos steht.
Die EU will die Lagerhaltung von Menschen fortsetzen. Irregulär Eingereiste sollen an den EU-Außengrenzen registriert und identifiziert, ihre Gesundheit und mögliche Sicherheitsrisiken überprüft werden. In Schnellverfahren soll über die Schutzberechtigung von Antragsstellern entschieden werden, bei denen geringe Aussichten auf einen positiven Bescheid besteht. Den Plänen zufolge sollen sie danach möglichst schnell in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Die übrigen sollen in EU-Mitgliedstaaten kommen, die einer Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten grundsätzlich offen gegenüberstehen. Wer sich daran nicht beteiligen will, ist angehalten, Abschiebungen zu exekutieren. Die EU-Kommission nennt das auf Englisch „return sponsorship“. Diese „Abschiebe-Patenschaft“ steht für die endgültige Absage an Humanismus und Menschenrechte – an Zynismus ist das nur schwer zu überbieten. Ungarns Präsident Viktor Orbán hat bereits klar gemacht, dass er weder Flüchtlinge aufnehmen noch als Abschiebe-Pate fungieren will.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kritisiert die Brüsseler Vorlage als vertane Chance. „Die Vorschläge der EU-Kommission zum neuen Migrationspakt zeigen weder Solidarität mit Geflüchteten noch mit den betroffenen EU-Außengrenzstaaten.“ Erstankunftsländer wie Griechenland, Italien, Spanien und Malta würden auch danach weitgehend alleine handeln müssen. „Der Vorschlag der EU-Kommission würde das Modell der griechischen Massenlager in Gesetzesform gießen. Asylverfahren und geschlossene Lager an den Grenzen dürfen nicht zur neuen Norm werden“, so der Grünen-Europa-Abgeordnete Erik Marquardt. Ulla Jelpke, Innenpolitische Sprecherin der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag, verweist auf die Zerstörung rechtlicher Standards: „Vorprüfungen und geschlossene Aufnahmezentren an den EU-Außengrenzen kämen einer endgültigen Entrechtung von Geflüchteten gleich. Europäische Solidarität darf sich nicht daran messen lassen, wer sich verstärkt an gemeinsamen Abschiebungen beteiligt.“ Marie von Manteuffel von „Ärzte ohne Grenzen“ erinnert, spätestens seit den Bränden auf Lesbos und Samos sei klar, dass es in der EU-Migrationspolitik einen radikalen Kurswechsel brauche. „Der von der EU-Kommission vorgestellte Entwurf des Paktes ist das Gegenteil hiervon. Alles deutet darauf hin, dass die Abschiebung und Fernhaltung von Geflüchteten und Migranten noch stärker als bisher die EU-Politik bestimmen sollen.“
Ignoriert wird in der Debatte die Funktion von Migration für die Kapitalinteressen, wie sie der österreichische Publizist Hannes Hofbauer in seinem Buch „Kritik der Migration“ (Promedia-Verlag 2018) beschreibt. Massenmigration sei „Ausdruck weltweiter Ungleichheit“. Ziel müsse sein, „Migrationsströme nicht nötig werden zu lassen“ und Menschen erst gar nicht zu Flüchtlingen zu machen. Im Fall Syriens heißt das konkret, auf die Aufhebung der Sanktionen von EU und USA zu drängen, die den Wiederaufbau des Landes blockieren und damit Bleibeperspektiven zerstören. Solidarität mit Flüchtlingen darf nicht auf humanitäre Hilfe reduziert werden, sondern muss die Fluchtursachen und die dafür Verantwortlichen etwa in den Rüstungskonzernen angehen. Das wäre ein radikaler Kurswechsel.