Produktionsstopp bei VW: Kurzarbeit kommt dem Konzern gelegen

Läuft nicht mehr

Volkswagen bekommt die Coronakrise jetzt voll zu spüren. Mitten im größten Umbau der Konzerngeschichte muss VW europaweit die Produktion stoppen. Nach Unterbrechungen in China setzte der weltgrößte Autoproduzent Ende letzter Woche in Europa die Fertigung in zahlreichen Werken aus. Betroffen sind neben dem Werk in Wolfsburg auch die Standorte Emden, Osnabrück, Zwickau, Dresden sowie die Komponentenwerke Braunschweig, Chemnitz, Hannover, Kassel, Salzgitter und die VW-Tochter Sitech. In Spanien, Portugal und der Slowakei kommt die Produktion ebenfalls zum Erliegen.
Eigentlich sollte die Bilanz-Pressekonferenz des VW-Konzerns am Dienstag letzter Woche eine Demonstration der Stärke werden. Egal ob Umsatz, Verkäufe oder Gewinne, alles hat sich 2019 nach oben entwickelt. Der Gesamtkonzern konnte 2019 seinen Gewinn unterm Strich um 12,8 Prozent auf 13,3 Milliarden Euro steigern. Der Umsatz legte um 7,1 Prozent auf 252,6 Milliarden Euro zu. Gründe sind etwa starke SUV-Verkäufe, Spareffekte und sinkende Kosten zur Bewältigung der Abgaskrise. Auch die Marke VW steigerte Produktion und Gewinn. Doch „2020 ist ein sehr schwieriges Jahr“, wie Konzernchef Diess auf der Pressekonferenz meinte, die ohne Publikum stattfand.

Dabei ist die Krise des Konzerns keineswegs nur auf den Coronaeffekt zurückzuführen. Auch acht Monate nach Produktionsstart läuft es beim wichtigsten neuen Auto am Standort Wolfsburg nicht rund. Das Unternehmen hatte den Golf 8 mit viel Digitaltechnik im vergangenen Jahr vorgestellt. Der Golf ist das wichtigste Produkt des größten deutschen Indus­triekonzerns und ausgerechnet hier hakt es in der Fertigung. Der Betriebsrat sieht schwere Versäumnisse des Vorstands: „Was ist los beim Golf 8? Gefragte Motoren nicht verfügbar, Softwarefehler, Händlerkritik, die Stückzahlen ein Trauerspiel. Und an den Montagelinien setzen Führungskräfte die Kolleginnen und Kollegen immer mehr unter Druck“, heißt es in der Betriebsratszeitung „Mitbestimmen“ Anfang März. Die wesentliche Ursache seien die Störungen in Software und Elektronik. Der Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh wird so zitiert: „Hier wollten überehrgeizige Vorstände zu schnell zu viel Technik in ein Fahrzeug stopfen und sind damit gescheitert (…). Wer so mit dem Golf spielt, spielt auch mit den Arbeitsplätzen der Beschäftigten. Und zwar nicht nur im Werk, sondern weit darüber hinaus.“

Doch nicht nur beim Golf 8, auch beim zweiten wichtigen Anlauf in 2020, dem elektrischen ID.3, läuft es nicht rund. Es hakt wohl noch bei der Komplexität, beim Zusammenspiel der verschiedenen Systeme. Dadurch kann das für den Start von VW in die Elek­tromobilität wichtige Auto nicht mit allen geplanten Funktionen angeboten werden. Diese sollen je nach Entwicklungsstand nach und nach geliefert und „aufgespielt“ werden. Das neue Elektroauto von VW kommt deshalb zunächst in einer abgespeckten Grundversion an die Kunden. Für die Standorte und für die Beschäftigten ist diese Entwicklung ein Desaster.

Auf der Bilanz-Pressekonferenz versuchte Konzernchef Diess für die hausgemachten Probleme nun die Coronakrise verantwortlich zu machen: „Die Coronapandemie stellt uns vor ungekannte operative und finanzielle Herausforderungen.“ Dabei sind die Spar- und Streichprogramme trotz Verkaufs- und Gewinnrekorden längst angekündigt. Das schon 2019 verkündete „Ergebnisverbesserungsprogramm“ soll ab 2023 jährlich 5,9, Milliarden einbringen, die Umsatzrendite auf 6 Prozent puschen und Produktivität und Effizienz insgesamt um 30 Prozent steigern. Hauptmittel: Die Vernichtung von 21.000 Arbeitsplätzen. Wie rigide der VW-Vorstand dabei zukünftig vorzugehen gedenkt, könnte das Beispiel der VW-Tochter Sitech Hannover zeigen, die Sitze zuliefert. Dort werden 470 Beschäftigte „freigestellt“ und das Werk ins Ausland verlagert. „Ein unrühmliches Novum innerhalb des Volkswagen-Konzerns“ nennt die IGM Hannover diese Werksschließung.

Zusammenfassend kann man sagen: Die Kurzarbeit kommt VW und den anderen Autobauern durchaus gelegen, denn es gibt Probleme in den Lieferketten. Außerdem werden den Konzernen die Kosten für Sozialversicherungsbeiträge erstattet. Die Stammbeschäftigten bei VW haben die Aufzahlung auf 100 Prozent, aber Zeit- und Leiharbeiter nicht. Ginge es allein um die Gesundheit der Beschäftigten, dann hätte man tatsächlich eher und fast alles schließen müssen. Weder die „Transformation“, der Wechsel der Antriebstechnik noch das Coronavirus sind schuld an der Krise der Auto- und Zulieferindustrie. Ursächlich sind das rücksichtslose Streben nach Maximalprofit, die grenzenlose, mörderische Konkurrenz, das Ausspielen von Beschäftigten und Standorten gegeneinander – eben der Kapitalismus. Ohne das Virusproblem vorauszuahnen schrieb dazu der „Rote Käfer“, die Betriebszeitung der DKP für Volkswagen, schon in seiner Ausgabe im November 2019: „Auch Automobilbeschäftigte und ihre Gewerkschaften müssen endlich wieder über Alternativen zum Kapitalismus nachdenken. Dass der unsere Probleme nicht löst, haben mittlerweile viele durchaus erkannt.“

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"Läuft nicht mehr", UZ vom 27. März 2020



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