Deutlich weniger als zwei Drittel der 6,1 Millionen Wahlberechtigten im Bundesland Niedersachsen haben am 15. Oktober 2017 von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und die beginnende Labilisierung des bürgerlich-parlamentarischen Regierungssystems in Deutschland bestätigt. Der bisher regierenden Koalition aus SPD und „Grünen“ gelang es nicht, ihre durch den Übertritt einer Abgeordneten zur CDU verlorengegangene Mehrheit der Sitze im Landtag wiederzugewinnen. Die Rechtsverschiebung der parlamentarischen Kräfteverhältnisse, die schon bei den Bundestagswahlen vom September vor allem durch die Herausbildung der „Alternative für Deutschland“ als nunmehr drittstärkste Fraktion deutlich geworden war, führt in Hannover zu einer Rechtsverschiebung im Lager jenseits von SPD und Grünen, obwohl die Gewinne der SPD die massiven Verluste der Grünen nahezu kompensieren konnten. Sie schränkt aber die Koalitionsmöglichkeiten soweit ein, dass es nach den Ankündigungen der Parteisprecher aller etablierten Parteien nun im Ergebnis entweder zu einer nur scheinbar stabilen Koalition der beiden größten Parteien, einer eher unwahrscheinlichen Koalition unter Einbeziehung sowohl der Grünen als auch der FDP oder aber zu einer Minderheitsregierung kommen kann. Die Regierungsbildung gestaltet sich daher an der Leine ähnlich wie an der Spree schwieriger als vor diesem Herbst, zumal in Niedersachsen alle Parteien, die in Berlin gegenwärtig dabei sind, eine Regierung zusammenzuzimmern, gemeinsam rund 10 Prozent Verluste gegenüber den niedersächsischen Wahlen 2013 eingefahren haben.
Die Partei mit dem großen Anspruch, „Die Linke“ zu sein, hat trotz einiger Stimmengewinne gegenüber 2013 nur zwei Drittel der 323 000 WählerInnen, die ihr noch bei den Bundestagswahlen zwischen Nordsee und Harz die Stimme gegeben hatten, für sich gewinnen können und trotz erheblicher Zugewinne gegenüber 2013 ihr Wahlziel eines Wiedereinzugs in den Landtag deutlich verfehlt. Daran hat weder die Bereitschaft, in eine Koalitionsregierung unter Führung des SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil einzutreten, noch der öffentliche Aufruf der DKP, sich an den Wahlen zugunsten dieser Partei zu beteiligen, etwas ändern können.
Ursächlich für die nun sowohl in Berlin als auch in Hannover demnächst deutlich werdende Rechtsverschiebung der Exekutive in den kapitalistischen Regierungen in Deutschland ist das Aufkommen der „Alternative für Deutschland“ (AfD), die am 15. Oktober mit gut 6 Prozent und sieben Mandaten in das 14. Landesparlament einzieht. Sie ist ein Verwesungsprodukt der sich seit 2007 von der Peripherie in die Zentren vorfräsenden finalen Krise dieses Systems. Wie ihre hässlichen Schwestern FPÖ in Österreich, PiS in Polen oder FN in Frankreich verschafft sie weiteren Rechtsentwicklungen im zerfallenden kapitalistischen System eine Massenbasis, weil sie in der Lage ist, die berechtigten Abstiegsängste breiter bisher einigermaßen gut entlohnter und sozial abgesicherter Schichten in den Zentren zu artikulieren und sie gegen andere Krisenopfer statt gegen die Krisenursachen zu richten. Welche Perspektiven eine solche Politik noch birgt, haben die ebenfalls gut 6 Millionen Wahlberechtigten bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen in Österreich deutlich gemacht, aus denen die FPÖ als zweitstärkste Partei hervorgegangen ist, die nun in Koalitionsverhandlungen mit der dortigen Schwesterpartei der CDU, der ÖVP, eintreten wird.
Gegen diese Entwicklung helfen weder Jammerei noch hilflose Appelle an die rechte oder linke Sozialdemokratie, den in seine finale Krise taumelnden Kapitalismus doch bitte wieder zu stabilisieren. Auf die pervertierte Rebellion von rechts, deren Ausdruck die AfD ist, kann es von links keine reformistische, sondern nur eine revolutionäre Antwort geben.
Manfred Sohn war von 2008 bis 2013 Landesvorsitzender der Partei „Die Linke“ in Niedersachsen.