Das Konzentrationslager und Zuchthaus Sonnenburg, herausgegeben von Hans Coppi und Kamil Majchrzak, Metropol Verlag 2015, ISBN 978–3-86331–227-5. Die Publikation wurde gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand e. V.
„Es steht in Sonnenburg ein deutsches Lager“: Nach der Reichstagsbrandstiftung und der gezielten Verhaftungswelle vom 27./28. Februar 1933 wurden am 3. und 6. April 1933 die ersten 250 politischen Häftlinge in ein 100 Kilometer von Berlin entferntes Konzentrationslager östlich von Küstrin getrieben. Eiligst wurde dort das Gelände eines vor-
übergehend stillgelegten preußischen Zuchthauses neu belegt. Drei Viertel der 931 bis zum Jahresende Eingelieferten aus Berlin und Brandenburg waren Mitglieder und Funktionäre der KPD, darunter Zeugen beim Reichstagsbrandprozess wie Wilhelm Kasper. Allen voran begann für sie und prominente Antifaschisten ein meist tödlich endendes Martyrium. Zu Letzteren gehörten der Radikaldemokrat und „Weltbühnen“-Herausgeber Carl von Ossietzky, der Anarchist und Repräsentant der Münchner Räterepublik von 1919 Erich Mühsam und der linke Strafverteidiger Hans Litten. Ihm verzieh der SA-Sturm 33 („Mordsturm Maikowski“) nicht, dass er bei einem Gerichtsprozess den Zeugen Hitler gegen die SA geführt und damit aufs Kreuz gelegt hatte.
Bertolt Brecht reagierte mit seinem Gedicht „In Sonnenburg“, dem die eingangs zitierte Verszeile entnommen ist, noch während jener Apriltage 1933 auf die von Polizisten und knüppelndem SA-Sturm begleitete Internierung dieser ersten politischen „Schutzhäftlinge“. Informationen, die illegal über die kommunistische Lagerleitung bis ins Ausland drangen, machten dieses frühe, über ein reichliches Jahr bestehende Konzentrationslager schnell als größte bekannt gewordene Folter- und Haftstätte in Deutschland berüchtigt. Die im Exil darüber erschienenen Berichte aus den Jahren 1933/1934 betonten die außergewöhnliche Willkür und Brutalität der Wachmannschaften.
Nach dem 23. April 1934 verkam die Haftanstalt, in ein Zuchthaus zurückverwandelt, SS-geführt zu einem der schlimmsten Sorte. Die baulichen und hygienischen Bedingungen, 1931 Schließungsgründe, waren noch unhaltbarer geworden. Die „Politischen“ litten unter verstärkten physischen und psychischen Drangsalierungen, denn inzwischen durften sich in Sonnenburg „einsitzende“ Mörder und sicherheitsverwahrte Straftäter daran beteiligen. Sie taten es weidlich. Ab 1940 wurden zusätzlich Deserteure und widersetzliche Zwangsarbeiter interniert und nachts in der Rüstungsindustrie bzw. in Berliner Munitionsfabriken eingesetzt. Widerstandskämpfer aus den besetzten Staaten Europas wurden unter Umgehung der internationalen Kriegsgefangenen-Konvention von August 1942 bis 1944 buchstäblich weggesperrt. Hitlers „Nacht-und-Nebel“-Erlass anonymisierte sie absichtlich am geheim zu haltenden Aufenthalts- und Beseitigungsort. Angehörige konnten somit keinerlei Nachfragen stellen.
Inzwischen hat Słonsk, wie die Gemeinde in Westpolen seit dem Oder-Neiße-Friedensvertrag heißt, jenen zwielichtigen „Bekanntheitsgrad“ verloren. Der fatale Gebäudekomplex wurde nach 1945 abgerissen. Auf einem stehengebliebenen Mauerstück erinnern massenhafte Einschüsse an ein Massaker der mit einem Häftlingsmarsch abziehenden SS Anfang 1945. Ein 1974 in der Gemeinde vom Historiker Przemyslaw Mnichowski eingerichtetes Museum mit zahlreichen Dokumenten und Fotos musste vor dem letzten Zerfall gerettet werden. Die VVN-BdA Berlin entwickelte ab 2010 länderübergreifende Gedenk- und Arbeitskontakte und leistet seitdem wertvolle rekonstruktive Hilfen.
Begleitend zur neuen, Anfang 2015 eröffneten Ausstellung im Słonsker grundsanierten Museum der Martyrologie erschien nun alternativ zur deutschen auch eine polnische Ausgabe der ersten umfassenden Publikation über KZ und Zuchthaus Sonnenburg 1933 bis 1945. Als grundlegend dafür erwies sich 2013 eine viel beachtete Konferenz mit Angehörigen von ehemaligen KZ- und Zuchthaus-Häftlingen in Słonsk. Das 239 Seiten starke Buch, gemeinsam herausgegeben von Hans Coppi, Vorsitzender der Berliner VVN-BdA, und Kamil Majchrzak, deutsch-polnischer Jurist und Redakteur der polnischen Ausgabe von „Le Monde Diplomatique“, zeigt ein detailliertes Spektrum über das Geschehene und nachträgliche, oft vergebliche Aufklärungsbemühungen. Angehörige ehemaliger Häftlinge, Historiker, Journalisten, Studenten, Mitarbeiter von Gedenkstätten aus Polen, Frankreich, Norwegen, Belgien, Luxemburg, Holland und Deutschland schrieben etwa 20 Einzelbeiträge.
Für deren Einordnung waren wissenschaftlich genutzte Quellen unerlässlich. Auf 15 in Słonsk erneuerten Ausstellungstafeln und in Medienstationen stellte der internationale Arbeitskreis der VVN-BdA den aktuellen Forschungsstand für den Zeitraum von 1933 bis 1945 vor. Zu dessen Basis-Standards zählen insbesondere der 1934
anonym veröffentlichte Tatsachen- und Augenzeugenbericht eines ehemaligen KZ-“Schutzhäftlings“ über die „Folterhölle Sonnenburg“, außerdem der Fundus akribischer Materialsammlungen der späten achtziger und Anfang der 90er Jahre, angelegt vom Arbeitskreis Ehemaliges KZ Sonnenburg bei der (West-)Berliner Friko (damals herausgegeben von Peter Gerlinghoff, Violet Schultz und Erich Schulz) sowie die gründlichen Recherchen des Luxemburger Forschers André Hohengarten aus den70er Jahren. Unter erschwerten Bedingungen im Kalten Krieg suchte er in Befragungen und in deutschen, polnischen, luxemburgischen Archiven zu 91 ermordeten luxemburgischen „Deserteuren“ der Jahrgänge 1920–1925 aufzuklären. Das war die größte nationale Opfergruppe des in der Nacht zum 31. Januar 1945 verübten SS-Massenmords an insgesamt 819 Häftlingen.
Von der Gestapo unmittelbar vor der Lager-Evakuierung beim Herannahen der Roten Armee angeordnet, blieb das Massaker vor den Zuchthaus-Toren bis heute ungesühnt. Erst am 18.12.1970 konnte vor dem Kieler Landgericht ein Prozess gegen zwei Hauptverantwortliche beginnen: gegen SS-Obersturmbannführer Heinz Richter, 1945 Gestapo-Chef von Frankfurt/Oder, der den Exekutionsbefehl weitergab, und gegen SS-Hauptsturmführer Wilhelm Nickel, der dessen Ausführung vor Ort leitete. Beide wurden 1971 vom Vorwurf der Beihilfe zum Totschlag freigesprochen. In Luxemburg löste das fragwürdige Verfahren große Empörung aus. Einen der brutalsten Aufseher im KZ Sonnenburg der Jahre 1933–34, den ehemaligen SS-Scharführer Heinz Adrian, hatte die Große Strafkammer des Landgerichts Schwerin am 29.9.1948 zum Tode verurteilt. Die Vollstreckung erfolgte im November 1948 im Zuchthaus Dreibergen.
Heute setzt sich der Internationale Arbeitskreis bei der Berliner VVN-BdA dafür ein, dass die Gedenkstätte Słonsk mit Museum und Friedhof sowie 16 extern angelegten Massengräbern für die Opfer des KZ und Zuchthauses ein europäischer Gedenk- und Mahnort wird.