„Ich habe echt alles gegeben, was ich konnte, mehr ging nicht“, sagte Justizministerin Katarina Barley (SPD) am Wahlabend und trat von ihrem Amt zurück. Nicht ohne ein Abschiedsgeschenk zu hinterlassen, das in Zukunft als weiterer Meilenstein in der Beschneidung von Verteidigungsrechten im Strafverfahren in die Justizannalen eingehen wird. Nachdem bereits auf 14 Seiten des Koalitionsvertrags vom März 2018 zwischen SPD und CDU der neue „Pakt für den Rechtsstaat“ beschworen wurde, beschloss das Kabinett am 15. Mai auf Vorschlag Barleys die „Eckpunkte“ der anstehenden Strafprozessordnungs-Reform:
• Da zu befürchten sei, dass strafrechtliche Hauptverhandlungen durch Befangenheitsanträge der Verteidigung „obstruiert“ werden könnten, soll die Möglichkeit geschaffen werden, die Entscheidung hierüber zurückzustellen – notfalls „bis zur Urteilsverkündung“. Fazit: Der vom Angeklagten als befangen abgelehnte Richter führt Verhandlung und Beweisaufnahme weiter.
• War es bislang so, dass bei Ablehnung eines Beweisantrages wegen „Verschleppungsabsicht“ eine „wesentliche Verzögerung“ des Verfahrens durch das Gericht belegt werden musste, reicht in Zukunft schon die Befürchtung kurzfristiger Verzögerungen, um den Antrag zurückzuweisen. Begründung: Das Argument der „Verschleppungsabsicht“ müsse aus seinem „Schattendasein“ befreit werden.
• Durch ein „Vorschaltverfahren“ sollen Rügen der Gerichtsbesetzung (Frage des zuständigen gesetzlichen Richters) „der Revision entzogen werden“. Dem Verurteilten wird dadurch die Möglichkeit genommen, eine Falschbesetzung des Gerichts durch das Oberlandesgericht oder den Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen.
• Die Telekommunikationsüberwachung (Paragraph 100a StPO) soll erweitert werden: auch Verdächtige eines Wohnungsdiebstahls können abgehört und überwacht werden.
• Bewährungshelfer und Führungsaufsichtsstellen erhalten die Befugnis, „unmittelbar“ Daten von Betroffenen an Polizeidienststellen zu übermitteln.
Und dies alles, obschon die letzte Reform, das „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ vom 17. August 2017, das zu zahlreichen für Beschuldigte nachteiligen Einzeländerungen führte, nur kurz zurückliegt.
Der Deutsche Richterbund klatscht Beifall: er bezeichnete den Streichungskatalog von Prozessrechten als „längst überfällig“. Die Bundesrechtsanwaltskammer – wahrscheinlich zur Überraschung manch eines ihrer Mitglieder – bezeichnet den „Pakt für den Rechtsstaat“ als „großen Fortschritt“. Und auch die selbsternannte Rechtsstaatspartei „Die Grünen“ wird im Chor der Jubler nicht zurückstehen, hatte doch die rechtspolitische Sprecherin Katja Keul erst im Februar konkrete Maßnahmen angemahnt: „Statt den Rechtsstaat tatsächlich und nachhaltig zu stärken, ist dieser Pakt doch nur eine Imagekampagne des Bundesjustizministeriums.“