Kurswechsel gegenüber USA

Christoph Hentschel zum EU-Beitritt der Türkei

Weil der Wahlkampf der großen Parteien nichts für die Schlagzeilen der meinungsmachenden Medienhäuser hergibt, ist die Türkei in den Fokus der Berichterstattung geraten. Das Plakat der Kleinpartei „Allianz Deutscher Demokraten“ (ADD) wirbt mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten Erdogan und ruft auf Türkisch dazu auf, keine türkeifeindlichen Parteien zu wählen. „Türkeifeindlich“ sind danach alle, die sich gegen die Interessen Erdogans in Stellung bringen. Das Interesse Erdogans und vermutlich das jeder anderen türkischen Regierung ist es aber, die Beitrittsverhandlungen mit der EU weiterzuführen – zu nicht von außen diktierten Bedingungen. Frankreich steht einem Beitritt der Türkei schon seit geraumer Zeit ablehnend gegenüber. Die USA möchten die Türkei aus strategischen Gründen in der EU sehen. Deshalb haben die deutschen Regierungen es, dem Wunsch Washingtons entsprechend, bisher abgelehnt, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden.

Plötzlich ist das anders. Während des TV-Duells zur Verschönerung des Bundeswahlkampfes kündigte SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz an, sich für ein Ende der Verhandlungen einzusetzen und Kanzlerin Angela Merkel erklärte daraufhin, beim nächsten EU-Ministerrat darüber beraten zu wollen. Dieses nächste Treffen war das Treffen der Außenminister in der estnischen Hauptstadt Tallinn. Außer dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz wollte niemand dem deutschen Politikschwenk folgen. Die Außenminister des Noch-Mitglieds Britannien, Litauens, Finnlands und Ungarns stellten sich offen gegen ein Ende der Beitrittsverhandlungen. Der türkische Europaminister Ömer Celik warf Deutschland den Missbrauch der EU für eigene Interessen vor.

Celiks Äußerungen bringen einen zum Schmunzeln, wenn man bedenkt, dass das Konstrukt „EG“ und dann „EU“ einst als imperialistisches Zweckbündnis zwischen Frankreich und Deutschland auf Betreiben der USA gegründet worden ist, um einen gewissen Interessenausgleich zwischen den beiden Imperialisten auf dem europäischen Kontinent zu herzustellen und zugleich die europäischen Staaten im Machtbereich Washingtons gegen die Sowjetunion in Stellung zu bringen. Seit der Zerstörung des sozialistischen Lagers sind deutsche Regierungen mit mehr Erfolg als früher bemüht, die eigene Position und eigene Interessen, im Rahmen der generellen Abhängigkeit von den USA durchzusetzen.

So ist der Kurswechsel der Bundesregierung weniger mit den Ereignissen der letzten Monate in der Türkei zu erklären. Es geht auch um eine Machtdemonstration Deutschlands gegenüber den USA. Seit Donald Trump Präsident ist, sehen die Strategen in Berlin Chancen gekommen, deutsche Interessen gegen die US-amerikanischen in Stellung zu bringen.

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"Kurswechsel gegenüber USA", UZ vom 15. September 2017



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