Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hätte das Ergebnis der dreitägigen Beratungen zum Bundeshaushalt 2022 in der vergangenen Woche nicht treffender zusammenfassen können. In seiner sonntäglichen Videobotschaft sprach er anschaulich über die düsteren Zeit der Entbehrungen, die nun „schneller als wir es für möglich gehalten hätten“ gekommen sei. „Und die ganze Wahrheit ist: Viele Härten liegen erst noch vor uns.“ Zum Auftakt der Haushaltsberatungen machte Finanzminister Christian Lindner (FDP) das Credo bundesdeutscher Budgetpolitik in den Zeiten des Krieges klar: Die Ausgaben für die Bereiche der Daseinsfürsorge werden zusammengestrichen, der Schattenhaushalt für Bundeswehr, Aufrüstung und Waffenlieferungen in Kriegsgebiete („Sondervermögen“) wird ergänzt durch kommende Nachtragshaushalte mit nach oben offener Milliardenskala. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ergriff am 23. März in seiner Haushaltsrede die Gelegenheit und mahnte die nun anstehende „nationale Kraftanstrengung“ an. Anklänge an die Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten vor 108 Jahren sind rein zufällig. In einer Protokollnotiz des Reichstags vom 4. August 1914 hieß es: „Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russischen Despotismus viel, wenn nicht alles auf dem Spiel.“
Für das, was nun auf die arbeitenden Menschen zukommt, liefert das Streichkonzert des Bundesetats genug Beispiele: Die seit langem geplanten Sonderzahlungen des Bundes an die Rentenversicherung in der Höhe von insgesamt 500 Millionen Euro hat Lindner abgesetzt. Mit einem Federstrich stehen damit die Rentenauszahlungen ab 2024 in Zweifel. Vor vier Jahren waren jährliche Sonderzahlungen von einer halben Milliarde zur Stützung der Rentenkassen vorgesehen. Wie diese Rentenlücke nun ausgeglichen werden soll, steht in den Sternen. 2022 sinkt das Rentenniveau ohnehin schon auf 48,2 Prozent.
Der Entwicklungshilfeetat wird um über 1,5 Milliarden Euro gekürzt. Davon betroffen sind insbesondere die Ressorts zur Bekämpfung von Fluchtursachen und die Hungerhilfe. In der Hungerhilfe fehlen jetzt 60 Millionen Euro, das entspricht dem Jahresernährungsaufwand für 100.000 hungernde Kinder in armen Ländern. Cornelia Möhring, bei der Fraktion „Die Linke“ im Bundestag zuständig für Entwicklungshilfe, bezeichnete dies in ihrer Presseerklärung als „entwicklungspolitische Katastrophe“.
Im Koalitionsvertrag versprach die Ampel unter der Überschrift „Bildung und Chancen für alle“ eine deutliche Steigerung der Bildungsausgaben – Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) behilft sich in der Bundestagsdebatte mit einem merkwürdigen Rechentrick. Ihr Haushalt wird um 500 Millionen Euro gekürzt, für sie ist das nicht weiter wichtig, denn „jeder Euro ist eine doppelte Investition“. Der Einzelplan 17 von Familienministerin Anne Spiegel („Bündnis 90/Die Grünen“) schrumpft um 625 Millionen Euro. Die Einführung der Kindergrundsicherung wird erst einmal auf ungewisse Zeit verschoben. Auf der Strecke bleiben insbesondere die annähernd drei Millionen Kinder aus von Armut bedrohten Familien. An Zynismus nicht zu übertreffen war die interne Debatte der Ampelkoalitionäre um die Höhe des Kindersofortzuschlags, der nun mit 20 Euro je Kind und Monat beziffert wird. Sozialverbände legten als monatliches Minimum 78 Euro zu Grunde. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) konnte sich mit den von ihm favorisierten 10 Euro nun nicht durchsetzen, dafür aber erreichen, dass die betroffenen Kinder erst im Juli des Jahres eine Zahlung erwarten dürfen. „Gut Ding will Weile haben“ – als vor zwei Jahren 9 Milliarden Euro Corona-Hilfe in den Kassen der Lufthansa klingelten, dauerte das nur zwei Wochen.
Weiterer sozialer Kahlschlag steht bevor. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat völlig überraschend eine „gewaltige Finanzierungslücke“ im kaputtgesparten Gesundheitssystem ausgemacht. Zur Finanzierung von 17 Milliarden Euro sollen die Krankenkassenbeträge zur Jahresmitte hin erhöht werden.
Kaum hatte Bundespräsident Steinmeier am Sonntag seinen Sparappell online gestellt, startete eine Regierungsmaschine mit Mitgliedern des Verteidigungsausschusses zur Einkaufstour nach Israel. Auf der Wunschliste stehen mehrere Systeme des Raketenschutzschirms „Iron Dome“. Kosten: 2 Milliarden Euro. Eingebucht in den nächsten Nachtragshaushalt.