Die Freie Kurdische Gemeinde Berlin e. V. hat Horror-Wochen hinter sich. Erst drangen Polizisten ohne Vorankündigung oder konkreten Tatvorwurf in das Vereinsgebäude ein, dann folgte ein Anschlag. UZ sprach mit Hüseyin Yılmaz, Ko-Sprecher der Freien Kurdischen Gemeinde, über die Vorfälle und Möglichkeiten zur Gegenwehr.
UZ: Am vorletzten Samstag fand eine Polizeiaktion im kurdischen Verein statt. Was nahmen die Beamten zum Anlass?
Hüseyin Yılmaz: Auch wir sind gespannt auf die Antwort auf diese Frage, denn bisher wurden wir offiziell nicht darüber informiert. Abgesehen davon finden wir das gesamte Vorgehen beim Polizeieinsatz äußerst problematisch, ja sogar unrechtmäßig. Dieses Vorgehen ist Ausdruck der Kriminalisierung, mit der wir Kurdinnen und Kurden in Deutschland seit Jahrzehnten konfrontiert sind.
UZ: Wie lief denn der Polizei-Einsatz ab?
Hüseyin Yılmaz: Wir wurden völlig überrascht, als in unsere Räumlichkeiten von Nav-Berlin eine unüberschaubare Anzahl von bewaffneten Ordnungskräften eindrangen. In dem Verein befanden sich zu dem Zeitpunkt zahlreiche Familien, darunter auch Frauen und Kinder. Das Auftreten der Polizei hatte den Zweck, die Menschen einzuschüchtern. Ohne Durchsuchungsbefehl und ohne die Anwesenheit unserer Anwälte haben die Polizeieinsatzkräfte eine Personalkontrolle unter allen Anwesenden durchgeführt. Ich und – nach Angaben der Polizei – eines unserer Mitglieder wurden auf Verdacht festgenommen und auf die Polizeiwache gebracht. Dort wurden wir fotografiert, unsere Fingerabdrücke genommen und anschließend wieder freigelassen.
UZ: Ist inzwischen klar, was Ihnen vorgeworfen wird?
Hüseyin Yılmaz: Wir haben noch keine offizielle Stellungnahme erhalten und können dazu derzeit nicht viel mehr sagen. Doch auffällig ist, dass es am Folgetag zu einem weiteren Ereignis kam. Am 5. Oktober gegen 15.00 Uhr wurden wir festgenommen und anschließend wieder freigelassen. Am 6. Oktober gegen 15.45 Uhr verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf unseren Verein. Während sich Frauen und Kinder in unserem Zentrum aufhielten, übergossen eine oder mehrere Personen die Eingangstür und die Fenster mit Benzin und planten, uns in Brand zu setzen. Als unsere Mitglieder den Benzingeruch bemerkten und die Tür öffneten, gerieten der oder die Brandstifter glücklicherweise in Panik und flohen. Hätten wir das nicht bemerkt, hätte der Vorfall vielleicht in einer Katastrophe geendet. Vermutlich ist die zeitliche Nähe der beiden Vorfälle ein Zufall. Doch die beiden Ereignisse zeigen, dass die kurdische Community sowohl staatlichen Repressionen ausgesetzt ist als auch von anderen Kreisen bedroht wird.
UZ: Sie sagen, es bestehe im Umgang mit Kurden kein Unterschied mehr zwischen den Polizeieinsätzen in der Türkei und der BRD. Ist das nicht etwas drastisch dargestellt?
Hüseyin Yılmaz: Ich bin Kurde aus Nordkurdistan, also aus der Türkei. Ich habe die Misshandlungen durch den türkischen Staat und seine Sicherheitskräfte seit dem Militärputsch von 1980 miterlebt: Dorfzerstörungen, Zwangsumsiedlungen, die Einführung von Dorfschützern und die Repressionen unter dem AKP-MHP-Regime. Zahlreiche kurdische Parteien wurden verboten, Politiker ermordet, Zeitungen geschlossen, Menschen verschwanden in Haft oder wurden gefoltert. Seit 1990 war ich politisch aktiv, als Bürgermeister, Mitglied der Parteiversammlung und des Exekutivkomitees, und wurde dabei mehrmals verhaftet und verfolgt.
Heute bin ich Ko-Vorsitzender der Freien Kurdischen Gemeinde-Berlin e. V.. Auch in Berlin erleben wir polizeiliche Willkür bei unseren Aktionen. Das Vorgehen der Berliner Polizei bei dem jüngsten Vorfall erinnerte uns stark an die Methoden der türkischen Sicherheitskräfte: Auch hier drangen Polizeikräfte bewaffnet in unsere Räumlichkeiten ein, und das ohne Rücksicht auf Kinder, Frauen und deren erlebte Traumata, sowie möglicherweise unter Verletzung des deutschen Rechts und des Vereinsgesetzes.
UZ: In der Vergangenheit wurden derartige Einsätze im Nachhinein auch schon als rechtswidrig eingestuft. Werden Sie gerichtlich gegen die Razzia vorgehen?
Hüseyin Yılmaz: Als Kurdinnen und Kurden setzen wir uns konsequent für Demokratie und Frieden ein und fordern, dass rechtsstaatliche Prinzipien auch für uns uneingeschränkt gelten. Unabhängig davon, ob wir in Kurdistan, der Türkei, Deutschland oder anderswo in Europa sind, werden wir unser legitimes und legales Engagement für die Lösung der kurdischen Frage und für Demokratie und Frieden weltweit fortsetzen. Sobald wir oder unsere Anwälte offizielle Dokumente zu den Festnahmen erhalten, werden wir den Rechtsweg beschreiten und unseren juristischen Kampf entschlossen fortführen.