Über die neue Antisemitismusklausel in Berlin

Kunst und Staatsräson

Kai Köhler

Soll der Staat antisemitische Kunst fördern? Selbstverständlich nicht. Die neuen Berliner Förderrichtlinien sind dennoch eine Gefahr, und nicht allein für die Kunst.

Wie so oft steckt der Teufel im Detail. Antragsteller sollen künftig nicht nur bekennen, gegen Diskriminierung zu sein, sondern sie sollen sich explizit der umstrittenen Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance von 2005 unterwerfen. Das war zunächst eine „Arbeitsdefinition“, doch bezogen sich sieben von elf Beispielen für Antisemitismus auf Kritik an Israel. 2019 übernahm eine Bundestagsmehrheit den Text, wobei sie die Kerndefinition durch eine Rechtfertigung Israels erweiterte. Seither ist die „Arbeitsdefinition“ eine innenpolitische Waffe und entscheiden zum Beispiel deutsche Verwaltungen, welche jüdischen Kritiker der israelischen Politik als antisemitisch gelten.

Der Widerstand gegen die neuen Berliner Richtlinien hat sich umgehend formiert. Ein Offener Brief gegen die Repression hat jetzt gut 5.000 Unterzeichner. Das Gegenargument lautet zwar, die Kunstfreiheit sei nicht in Gefahr. Diejenigen, die die Klausel nicht unterschreiben, müssten lediglich auf Staatsknete verzichten. Wo aber fast jeder größere Raum staatlich oder staatlich gefördert ist, bedeutet solche Eigenständigkeit Verzicht auf Breitenwirkung.

Schaden leiden wird also die Kunst, durch Selbstzensur und Duckmäusertum. Erschwert wird jede Kooperation mit politischen Künstlern aus dem Globalen Süden, wo – ohne die Belastungen deutscher Geschichte – eine unvoreingenommene Diskussion des israelischen Siedlerkolonialimus möglich ist.

Dies aber ist nicht das Schlimmste. Ein antisemitisches Klischee behauptet, eine jüdische Lobby beherrsche die Öffentlichkeit. Das ist Unsinn – aber jeder Versuch, Kritik an Israel zu unterdrücken, macht diesen Unsinn glaubwürdiger. Vor allem verschärft sich die politische und militärische Konfrontation. Nach den Brutalitäten der Hamas am 7. Oktober begeht Israel in Gaza und der Westbank systematisch Kriegsverbrechen. Mindestens Teile seiner Regierung bereiten eine ethnische Säuberung vor. Die nächsten Wochen und Monate werden eine Verschärfung der Lage bringen. Will man Antisemitismus wirklich bekämpfen, kommt nun alles darauf an, zwischen der mörderischen Politik Israels einerseits und der Judenheit andererseits deutlich zu unterscheiden.

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"Kunst und Staatsräson", UZ vom 12. Januar 2024



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