Zum 50. Geburtstag von Dietmar Dath

Kunst und Revolution

Obwohl Dietmar Dath am 3. April 2020 erst fünfzig Jahre alt wird, könnte jemand auf die Idee kommen, sein jetzt schon unfassbar vielfältiges Werk würdigen (wie man so sagt) zu wollen. Von einem solchen Vorhaben, durch einen einzelnen Menschen in Angriff genommen, ist abzuraten. Er verhöbe sich damit.
Nehmen wir stattdessen nur ein Stück heraus und betrachten Daths Verhältnis zu den Kommunistinnen und Kommunisten und zum Marxismus.

Das Erste ist leichter zu bestimmen, und es kommt etwas Schönes dabei heraus. Dietmar Dath verhält sich zu den Kommunistinnen und Kommunisten mit großer Freundlichkeit. Er besucht ihre Feste, wenn er dazu eingeladen wird, trägt ihnen seine Gedanken vor und hört ihnen zu. Auch Mitgliedern der DKP erweist er diese Ehre. Daraus kann und wird diese Partei keinen Monopolanspruch herleiten. Der radikalen Antifa zum Beispiel begegnet er ebenso, und viele Autonome würden ihn wohl am liebsten ganz für sich alleine behalten wollen.

Kommen wir zum Marxismus, also zur Dreiheit von Historischem Materialismus, Kritik der Politischen Ökonomie und dem Bemühen um revolutionäre Aufhebung des Kapitalismus. Daths Meinung dazu ist so unkompliziert wie der folgende Satz: Er ist dafür. Zugleich wundert er sich, wie schwer viele Marxistinnen und Marxisten es sich mit ihrer Sache machen. Diesem Erstaunen gab er 2005 in der „FAZ“ Ausdruck. Es ist die Besprechung der Edition des dritten Bandes des Marxschen „Kapital“ in der Marx-Engels-Gesamtausgabe. Der Artikel hat die Überschrift „Redigat oder Müll“. Gemeint ist: Es handele sich um eine große philologische Leistung, die aber Trash wäre, wenn nicht das Richtige daraus gemacht werde. Das Falsche finde sich bei jenen klugen Leuten, die dem Irrtum verfielen, im „Kapital“ sei zu lesen, wie die bürgerliche Gesellschaft funktioniert, während Marx „jedes erreichbare Argument herbeizuzerren wünschte, dass der Kapitalismus eben nicht funktioniert, sondern voller Widersprüche ist, die sich daraus ergeben, dass die Menschen in ihm für den Profit statt für ihre Bedürfnisse produzieren“.

Wieder einmal ist ein gordischer Knoten durchhauen und ein Ei des Kolumbus vor dem Umfallen bewahrt (falls es erlaubt wäre, das Argument eines freundlichen Theoretikers mit den Handlungen zweier Gewaltmenschen zu vergleichen). Dietmar Dath kennzeichnet die Erörterung, wie die Mehrwerttheorie des ersten „Kapital“-Bandes mit der Produktionspreis-Berechnung des dritten in Einklang gebracht werden könne, als einen „unglaublich öden Streit“. Der ist ja tatsächlich optimal geeignet, am wichtigsten Bestandteil des Marxismus vorbei zu zielen: dem Kampf um die revolutionäre Aufhebung des Kapitalismus.

Hätte Dietmar Dath mal wieder Lust darauf, seiner Grundgestimmtheit nachzugeben, der Höflich- und Freundlichkeit, wäre er wohl bereit, solches „Marxpfaffentum“ (wie er Franz Mehring zitiert) zu erklären, wenngleich nicht zu entschuldigen.

Die Sache mit der Revolution ist nämlich nicht so einfach, sondern das Schwerste. Marx und Engels lebten im Zeitalter manifester Revolutionen: von den ersten beiden französischen (1789–1799 und 1830) über die europäische (1848/49) bis zur Pariser Kommune (1871), eingebettet in eine weitere: die Industrielle Revolution. Letztere brachte ein Proletariat hervor, das unendlich litt und immer wieder einmal revoltierte: in England erst die Maschinenstürmer, dann die Chartisten, die Seidenweber von Lyon, die schlesischen Weber. Für Marx und Engels war es das revolutionäre Subjekt. Nicht sie selbst, aber Epigonen der nächsten Generation sahen Geschichte als linearen Prozess: Es werde schon alles gut gehen.

Dietmar Dath ist gleich zweimal in einer anderen Lage: Das Proletariat schlug die ihm angetragene historische Mission aus, und die Moderne ist keine Einbahnstraße durch Nacht zum Licht. Freunde des Kapitals und Renegaten sagen dazu: Na siehste. Geht nicht. Ende der Geschichte.

Babara Kirchner und Dietmar Dath haben 2012 ein großes theoretisches Werk vorgelegt. Es heißt „Der Implex“ und dröselt auf, dass Geschichte nicht nach dem Schema „Zwei mal zwei ist vier“ sich bewegt, sondern wie die Kugel in einem Flipper von Station zu Station, woraus sich eine wachsende Zahl von Optionen ergibt. Das gehe, anders als in der altertümlichen Version des Spielgeräts in der Kneipe, allerdings nicht nur von oben nach unten, sondern auch seitwärts und – aber nicht zwangsläufig! – nach oben. Die Notwendigkeit der Revolution dagegen sei (nun wieder Dath in der „FAZ“) ein „normatives Gesetz (…) keins von der Art: Wenn man etwas in die Luft wirft, kommt es wieder runter.“ Nein, sie muss gemacht werden.

Warum? Weshalb findet Dietmar Dath, wie er immer wieder betont, den Kapitalismus so unerträglich?
Antwort: Er ist im Hauptberuf ein großer Dichter und verehrt Peter Hacks. Der erachtete für die besten Jahre der Literatur jene klassischen Epochen, in denen es dieser erlaubt war, vollkommene (also allenfalls künftige) Zustände in ebenfalls vollkommener Form darzustellen. Sie seien immer kurz gewesen, unter anderem in der Zeit von Elisabeth der Ersten von England und Shakespeare, Carl August von Sachsen-Weimar und Goethe, Ulbricht und Hacks.

Es kömmt künftig darauf an, Gesellschaften, in denen derlei Kunst möglich ist, revolutionär zu erreichen. Enden solche Zeiten, bleiben rechts Romantik und Kitsch, links Hacks‘ grimmige späte Stücke und Daths Romane, vor allem Science Fiction. Kunst kann gelungene Gesellschaften erklären und kaputte.

Nur der allerdümmste und allerplatteste bürgerliche Vulgärmaterialist wird so etwas für idealistisch halten.

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"Kunst und Revolution", UZ vom 3. April 2020



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