Kultursplitter

Von Herbert Becker

„Kultur für alle“

Der frühere Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann ist tot. Er starb am 1. Juni, er wurde 92 Jahre alt. Kein Kulturdezernent einer deutschen Stadt wurde bundesweit so bekannt wie Hoffmann. 1951 wurde er in Oberhausen der jüngste Direktor einer Volkshochschule und gründete dort 1954 die später so benannten Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, die 1962 Plattform für das Oberhausener Manifest wurden, in dem die Protagonisten der Bewegung „Junger deutscher Film“ das betuliche, beschönigende Kino für tot erklärten. 1965 – 1990 war er Sozial- und Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, in dieser Zeit prägte er die kulturelle und städtebauliche Entwicklung, so verantwortete er den Aufbau des Museumsufers. Sein sozialdemokratisches Motto „Kultur für alle“, das er in einem Buch veröffentlichte, übernahmen auch andere Kommunen. Auch das von Hilmar Hoffmann 1971 gegründete erste Kommunale Kino fand bald überall Nachahmer. Filmkunst war seine große Leidenschaft. Später berief ihn die Kohl-Regierung zum Präsidenten des Goethe-Instituts. Er leitete es sieben Jahre lang und wehrte sich – nicht immer erfolgreich – gegen drastische Mittelkürzungen.

Neuer Platz

Das umstrittene „avenidas“-Gedicht aus der Feder des mittlerweile 93-jährigen Dichters und Übersetzers Eugen Gomringer liest man nun an einem Haus im oberfränkischen Rehau. Der Bürgermeister der Kleinstadt, Michael Abraham, sagte bei der offiziellen Präsentation der Fassade: „Für mich ist das kein provokantes Gedicht.“ Die auf Spanisch verfassten Zeilen standen bislang an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. Im Januar hatte der Akademische Senat der Hochschule beschlossen, das Gedicht übermalen zu lassen, nachdem Studenten es als sexistisch kritisiert hatten. Besonders die Zeile „Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“ wurde zum Stein des Anstoßes. Es gab heftige Proteste gegen diesen Vandalismus und die irrwitzige Begründung für diesen Akt. Eugen Gomringer lebt seit mehr als 40 Jahren in Rehau. In Berlin wird ein neuer Platz gesucht, und auch Bielefeld will das Gedicht in der Fassadenform zeigen.

Jetzt Kreuze

„Weiß Söder eigentlich, wovon er spricht, wenn er sagt, er meint es nicht als christliches, sondern als kulturelles Symbol?“, fragten sich Münchener Geisteswissenschaftler. „Hat er überhaupt eine Ahnung, was er sich ins Haus holt? Also, die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los.“ Die Gruppe postete in ein paar Wochen knapp 1 000 Kreuzdarstellungen aus Literatur, Kunst und Popkultur. Eine der ältesten Kreuzdarstellungen des Abendlandes zeigt einen gekreuzigten Esel. In den Schriften aus dem dritten Jahrhundert wird beschrieben, dass es in Karthago derartige Karikaturen gab, mit der Überschrift: Koitis. Der Gott der Christen. „Was so viel heißt wie der, der bei den Eseln liegt, oder der von einem Esel Geborene“. Eine ganz besondere Kreuzdarstellung aus Bayern ist auch dabei: Die Wilgefortis. Oberflächlich betrachtet eine Jesusdarstellung im Frauengewand. Dabei ist es nicht Jesus, sondern Wilgefortis, eine gottgemachte Drag-Queen, die im Spätmittelalter eine offizielle Heilige war. Vor allem in Bayern war ihre Darstellung sehr, sehr verbreitet und viele Kapellen sind immer noch ihrem Namen gewidmet. Der Legende nach bat die Jungfrau Wilgefortis Gott, ihr Gesicht zu entstellen, damit sie keinen Mann heiraten müsse. Daraufhin ließ Gott ihr einen Bart wachsen, aus Zorn kreuzigte sie der Vater. Daraus entstand ein queerer Christenkult, der auch Söders Heimat prägte. Wenn man ein Symbol aufhängen möchte, das die kulturelle Prägung Bayerns zum Ausdruck bringt, ist die Wilgefortis eigentlich eine bessere Wahl als das Jesus-Kreuz.

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"Kultursplitter", UZ vom 8. Juni 2018



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