Kultursplitter

Von Herbert Becker

Kulturpolitik

Michelle Müntefering, Ehefrau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, wurde im neuen Kabinett Staatsministerin im Auswärtigen Amt, ausdrücklich zuständig für internationale Kulturpolitik. Ihre besondere politische Kontrolle wird den Goethe-Instituten in aller Welt gelten, neben der Aufsicht über den Rundfunksender „Deutsche Welle“. Sie versteht diese Einrichtungen als Mittler zwischen der Innen- und der Außenpolitik, und meint, ihre Aufgabe sei es, „die Freiheitsrechte von Künstlern, Wissenschaftlern und Journalisten zu sichern und den Kulturaustausch auszubauen“. Deutlich wird sie, wenn sie sagt „gerade in Krisenregionen sei eine Stärkung der Zivilgesellschaft nötig“, soll wohl heißen, die Einmischung, wie wir sie in der Ukraine erlebt haben, aber auch beim sogenannten „arabischen Frühling“, ist nachdrücklich erwünscht. Beruflich qualifiziert ist sie wohl durch ihr Journalistikstudium, wichtiger aber – im Proporzdenken der Parteien zu sehen – sie hat ein Direktmandat für den Bundestag in NRW geschafft.

Bauen auf Zeit

Manfred Prasser galt als einer der wichtigsten und einflussreichsten Architekten der DDR. Unter anderem war er beim Bau des Berliner Palastes der Republik für den großen Saal verantwortlich. Der gebürtige Chemnitzer ist jetzt im Alter von 85 Jahren in Zehlendorf bei Oranienburg gestorben. Über den Palast der Republik sagte Prasser kurz vor dessen Abriss: „Es ist ein Haus, das Menschen gebaut haben und nicht Erich Honecker.“ Klingt ein wenig so,wie Brecht bei seiner Frage „Wer baute das siebentorige Theben“. Fraglich ist, ob irgendjemand tatsächlich Honecker zum Baumeister erklärte. Auf die Frage „Trauern Sie dem Palast nach?“ gab er zur Antwort „Nein, nicht dem Palast. Ich bin traurig über Deutschland. Über die Unfähigkeit, eine Kulturpolitik der neuen Zeit sichtbar zu machen durch ein Bauprojekt.“ Stattdessen bekommen wir jetzt für viele Millionen dieses erbärmliche Schloss. Was die DDR gebaut hatte, musste weg. Prasser war auch am Neubau des Friedrichstadtpalastes und am Bau des Grand-Hotels an der Friedrichstraße beteiligt. Auch rund um den Berliner Gendarmenmarkt war er an mehreren Bauten beteiligt und erhielt für seine Projekte mehrere Preise, natürlich in der DDR.

Musik als Weg

Der für seine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen international bekannt gewordene Musiker José Antonio Abreu ist tot. Er starb im Alter von 78 Jahren in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Abreu gründete 1975 mit einigen Musikern in einem Arbeiterviertel von Caracas das Projekt „El Sistema“. „Freier Zugang zur Kunst für alle Kinder Venezuelas, Lateinamerikas und der Karibik … und eine große humanistische und kreative Revolution durch die Kunst in Lateinamerika“. So formulierte José Antonio Abreu selbst, welcher Traum und welches Zukunftsbild ihn seit der Gründung von El Sistema geleitet haben. Die Stiftung El Sistema fördert heute rund 300 000 Kinder und Jugendliche, die in 125 Jugendorchestern und 57 Kinder- und Vorschulorchestern sowie in fast 1 000 Chören in allen venezolanischen Bundesstaaten aktiv am kulturellen Leben Venezuelas teilnehmen. In einem seiner letzten Interviews sagte Abreu, die Stiftung „sei ein soziales Projekt, weil es durch die Musik zur Entwicklung des Menschen beitragen wolle, und ein nationales Projekt, weil es das ganze Land zur Teilnahme bewegen wolle.“ Die Größenordnung dieses Projekts macht wütend, wenn man an die Bestrebungen imperialistischer Kräfte denkt, das ganze Land wieder den Konzernen zu übergeben. Wütend aber auch, wenn man die mickrigen Zahlen bedenkt, mit denen in der reichen BRD Musikschulen, Musikunterricht, Jugendorchester und Chöre auskommen müssen.

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"Kultursplitter", UZ vom 29. März 2018



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