Zum „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“, also den Kategorien, aus denen sich die Weltaneignung der Menschen beschreiben lässt, gehört neben Natur, Zivilisation, Technik und Arbeit die kulturelle Ausformung einer Gesellschaft. Wenn das Wort „Kulturpolitik“ fällt, gibt es bei leider bei viel zu vielen ein gelindes Gähnen, ähnlich wie bei „Raumordnungspolitik“ oder „Investitionszuweisung“. Dabei wird über das, was Bund und Länder über die Höhe und Instrumente der Geldmittel steuern, nicht wenig an politisch-ideologischer Herrschaftsausübung geleistet. Kultur, also die Frage „Wie leben wir“, ist nach der Frage „Wie arbeiten wir“ (der wichtigsten überhaupt), ein Feld der Klassenkämpfe, dem größte Aufmerksamkeit zukommen sollte.
Vom Geld reden
Im Entwurf für den Bundeshalt 2017 sind für den Etat der Kulturstaatsministerin 1,35 Mrd. Euro an Ausgaben geplant, gegenüber dem laufenden Jahr eine Steigerung von knapp 74 Mio. Ein Fünftel dieser Erhöhung geht alleine für das idiotische Prestigeobjekt des „Humboldt-Forum Berlin“ drauf, damit dort überhaupt mal Strukturen für Organisation und Verwaltung geschaffen werden können.
Übrigens: Im Gesamthaushalt des Bundes für 2017 macht dieser Kulturetat gerade mal 0,4 Prozent aus, schon ein deutliches Zeichen dafür, dass es die klammen Bundesländer und die Kommunen richten und natürlich die Privatwirtschaft, Crowdfunding, Mäzenatentum und Sponsoring manche Löcher stopfen sollen. Der geringe Etat zeigt sowohl Missachtung wie auch die Sicherheit, dass Klassenkämpfe von unten nicht oder nur kaum stattfinden, dafür werden genügend Nischen und ungefährliche Spielplätze angeboten, man muss auf diesem Feld nicht aufrüsten.
Die Reputation
Die Anerkennung, gespeist aus leidlichem Respekt und versteckter Furcht, ist die Lebensnahrung, die den Helden des Romans „Die Reputation“ speist. Juan Gabriel Vásquez, 1973 in Bogotá geboren, erzählt die Geschichte eines politischen Karikaturisten bei der wichtigsten Tageszeitung Kolumbiens, der nun auch noch von der Regierung für seine Arbeit gewürdigt wird. Ein Ereignis aus früheren Jahren kommt nach der Ehrung durch die Hartnäckigkeit einer jungen Frau wieder nach vorne, längst verdrängt und gerne vergessen. Ein Abgeordneter, Hinterbänkler seiner Partei, fühlte sich durch Karikaturen des Javier Mallarino beleidigt und in seiner Ehre verletzt. Er besucht den Zeichner zu Hause, wo gerade ein Fest stattfindet, verlässt dann hastig und verstört das Haus. Kurze Zeit später findet man die kleine Tochter des Hausherren und ihre Spielfreundin im Schlafzimmer vor, die Szenerie ist unklar, mehrdeutig. Mallarino, wütend und verwirrt, gibt eine Zeichnung in die Redaktion, die den Abgeordneten zumindest in den Verdacht bringt, Interesse an sehr jungen Mädchen zu haben. Ein Gerücht, aber im doppelten Sinne tödlich, der der dumme Mann verliert nicht nur Stellung und Ansehen, er bringt sich um und verstärkt damit noch die Meinung derer, die das Gerücht gerne für wahr genommen haben.
Nachdem im Fortgang der Ereignisse klar ist, dass nichts ein solches Gerücht rechtfertigte, ist die Reputation des gerade Geehrten dahin. Er zieht die Konsequenz, verbrennt alle Zeichnungen, wirft sein Material auf den Müll und gibt die Ehrung zurück.
Juan Gabriel Vásquez: Die Reputation. Schöffling & Co, 192 S., 19,95 Euro
Schlussakkord
Endlich rafft sich die Bundesregierung mit reichlicher Verspätung dazu auf, den hunderttausendfachen Mord an den unterdrückten Völkern im Süden Afrikas Völkermord zu nennen, natürlich ohne dabei Forderungen nach Entschädigung zu akzeptieren. Zwei Buchtipps, die den deutschen Imperialismus in einer ersten „Blüte“ beschrieben haben:
Uwe Timm, Morenga, weiterhin als dtv-Taschenbuch lieferbar
Gerhard Seyfried, Herero, leider nur noch gebraucht zu kaufen.