Kultursplitter

Von Herbert Becker

Beleidigt

Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann bilanziert vor Abschluss der Feiern zu den 500 Jahren seit den 95 Thesen eines Martin Luther, diese seien ein „vergeigtes Jubiläum“. Die Jubiläumsblase mit ihren fantastischen Zielen eines „Sommermärchens“, des Entstehens einer „Generation 2017“ und eines Wachsens der evangelischen Kirche gegen den Trend sei geplatzt, schreibt er weiter. Die Besuchererwartungen seien völlig überzogen gewesen und verfehlt worden. Der Grund für die aus seiner Sicht schlechte Bilanz des Festjahres sei, dass die Evangelische Kirche in Deutschland die akademische Theologie von der Planung für das Jubiläumsjahr ausgeschlossen habe. Gottseidank lässt uns der gelehrte Herr wissen, welche eigenen Interessen und die seiner wohl ebenfalls nicht einbezogenen Kolleginnen und Kollegen ihn so zornig machen. Ob der ganze Aufwand einschließlich einer „Sonderbotschafterin“ Margot Käßmann mehr Erfolg gehabt hätte, wenn Theologen in reicher Zahl gefragt worden wären, darf doch wohl bezweifelt werden.

Besorgt

Die Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität (FU) Berlin ist auch für das kommende Jahr sichergestellt. Wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) mitteilte, will sie die Forschungsstelle erneut aus dem Bundeskulturhaushalt 2018 finanzieren. Ab 2019 will die Freie Universität selbst die Finanzierung der Stelle übernehmen. Das war zwar schon vor Jahren die Absicht und auch so geplant, warum die FU dies nicht hinbekommt ist unklar. Schließlich geht es um die Forschung der Methoden faschistischer Kunstpolitik, vor allem die Geschichte und Folgen der Beschlagnahme moderner Kunstwerke in deutschen Museen durch die Faschisten im Jahr 1937. Ebenfalls wird die noch lange wichtige „Provienzforschung“ aktiv betrieben, um die Raubkunst und ihre spätere Verschleierung aufzudecken. Die Hansestadt Hamburg hat ebenfalls eine solche Forschungseinrichtung an ihrer Uni, die finanziert sich aber selbst und kann planvoll arbeiten.

Begeistert

In den letzten drei Jahren hat der Regisseur Luk Perceval mit dem Ensemble des Thalia-Theaters aus Hamburg eine „Trilogie meiner Familie“ aus den Romanen von Emile Zola auf die Bühne der Ruhrtriennale gebracht. Nach „Liebe“ und „Geld“ endet der Zyklus in diesem Jahr mit „Hunger“. Gespielt wurde im Industriepark Duisburg-Nord in den erhaltenen Anlagen eines ehemaligen Hüttenwerks. Es liegt auf der Hand, dass der Bergarbeiter Etienne und der Lokführer Jacques richtig sind an diesem Ort schwerer, schmutziger Arbeit. Von der Bühne ist nur das leere, nach hinten in eine hohe Bodenwelle aufsteigende, nackte Holzpodest geblieben. Und die Kleidung dieser ums nackte Überleben kämpfenden Menschen ist auch so vereinfacht, dass man nicht mehr an Theaterkostüme denkt.

Percevals Konzept, mit der Sprache und dem ungebrochenen Pathos Zolas einen den Blick schärfenden historischen Abstand aufrecht zu erhalten und andererseits durch eine sehr direkte, körperliche Spielweise diese Distanz wieder zu überspringen, löst sich bei „Hunger“ restlos überzeugend ein. Und von geradezu erschreckender Eindringlichkeit ist Barbara Nüsse als alter Großvater: Mit acht, so erzählt er, ist er zum ersten Mal in den Schacht eingefahren. Jetzt ist er wohl bald 80 und muss immer noch die schwere Arbeit machen. Das Fazit dieses Lebens, das Barbara Nüsse mit eiskalter Ruhe darlegt, geht einem tief unter die Haut. Streik, meint der Alte, das nützt gar nichts. Wenn die Ungerechtigkeit aufhören soll, dann muss das Alte weg, ausgetilgt werden mit Blut und Gewalt. Ein Schlusswort, radikal und ganz ruhig.

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"Kultursplitter", UZ vom 22. September 2017



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