Kultursplitter

Engels in Wuppertal
Die Stadt Wuppertal hatte sich viel vorgenommen, um den 200. Geburtstag von Friedrich Engels, dem „größten Sohn der Stadt“, gebührend zu würdigen. Eine erste wissenschaftliche Konferenz konnte noch kurz vor den Beschränkungen durchgeführt werden. Die geplante zweite Konferenz musste erstmal verschoben werden. Verkürzt werden musste auch die Dauer einer Sonderausstellung in der Kunsthalle Barmen, die seit dem 15. Mai offen ist für Besucher, bisher aber bereits am 20. September wieder zu Ende sein soll. Unter dem Titel „Friedrich Engels – Ein Gespenst geht um in Europa“ hat das Historische Zentrum Wuppertal eine Ausstellung kuratiert, die den Anspruch erfüllen möchte, einen umfassenden Blick auf Leben und Wirken durch Bilder, Texte und Exponate zu leisten. Für alle, die lieber noch nicht nach Wuppertal reisen möchten, gibt es online eine nette Präsentation. Neben einem eher nichtssagenden „Teaser“, der wohl neugierig machen soll, aber eher langweilt, werden dann Videos angeboten unter dem Titel „Museumsführer stellen ihre Lieblingsexponate vor“. Manchmal eher bemüht, aber auch bei einigen sehr engagiert, versuchen die Männer und Frauen, die dort arbeiten, uns ihre Sicht und ihre Wertung beim Blick auf Friedrich Engels nahezubringen. Es sind sieben Videos zu sehen, die zumindest einen Eindruck vermitteln, was die Ausstellung zeigt. Als Ersatz für einen persönlichen Besuch – am besten in einer Gruppe – kann das natürlich nicht ausreichen. Ein umfangreicher Begleitband mit 16 wissenschaftlichen Essays ist soeben im Bergischen Verlag Wuppertal erschienen, er kostet 24,- Euro. Es ist eine Sammlung von zumeist sozialdemokratisch orientierten Autorinnen und Autoren, die helfen soll, Friedrich Engels vom Geruch des revolutionären Denkers und Praktikers zu reinigen.

Provokation und Irrtum
Rolf Hochhuth starb am 13. Mai im Alter von 89 Jahren in Berlin. Nach einer Buchhändlerlehre arbeitete er als Verlagslektor und begann mit dem eigenen Schreiben. 1961 erschien das Drama „Der Stellvertreter“, die Westberliner Uraufführung im Februar 1963 unter der Regie von Erwin Piscator löste eine heftige politische Debatte aus. Das Stück behandelt die Haltung des Vatikans, besonders des von 1939 bis 1958 amtierenden Papstes, der sich Pius XII. nannte, zu den auch in Rom bekanntgewordenen Verbrechen der deutschen Faschisten. In dem Drama treten historische Personen auf wie der SS-Obersturmführer Kurt Gerstein, der tatsächlich versuchte, die römische Kurie ausführlich zu informieren und zu einer eindeutigen Haltung zu bewegen. Die zögerliche, unentschlossene Politik der katholischen Kirche ist seit dieser Theateraufführung immer wieder und immer noch Gegenstand der internationalen Kritik. Spätere Stücke von Hochhuth waren weder erfolgreich noch von solcher Wirkung, erst mit dem Drama „Wessis in Weimar“ – Untertitel „Szenen aus einem besetzten Land“, uraufgeführt 1993, gelang ihm noch einmal, viel Geschrei und Proteste zu provozieren. Hochhuth stellte die sogenannte deutsche Wiedervereinigung als einen kolonialen Akt dar, später legte er noch mit dem Text „McKinsey“ in gleicher Art nach. Dass er sich über eine von ihm gegründete Stiftung das „Theater am Schiffbauerdamm“ in Berlin unter den Nagel riss, wurde ihm zu Recht als feindliche Übernahme vorgeworfen. Zeit seines Lebens gefiel er sich in der Rolle des Provokateurs, er hatte zwar ein Gespür für brachliegende politische Themen, seine Bearbeitungen litten aber oft unter Unsachlichkeiten. Dass er 2005 David Irving verteidigte, der sich als Holocaust-Leugner einen unsäglichen Namen gemacht hat, schmälert jede Achtung vor seiner Arbeit als Dramatiker. Fühere Freunde bezeichneten ihn seitdem als Idioten.

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"Kultursplitter", UZ vom 22. Mai 2020



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