Kultursplitter

Musentempel?

Jahrelang stritt man sich in der westfälischen Metropole Münster, ob nicht ein Konzertsaal für das städtische Sinfonieorchester erforderlich sei. Der Rat der Stadt konnte sich – auch ob der Kosten für Bau und Unterhalt – nie einigen. Nun meint man, die „eierlegende Wollmilchsau“ gefunden zu haben: Ein ganzer Musik-Campus soll völlig neu gebaut werden und diverse Interessen und Forderungen unter ein Dach bringen. Die ehrwürdige Universität will ihre Musikhochschule dort ansiedeln, das Sinfonieorchester bekäme den ersehnten Konzertsaal und auch die Freie Szene Münster mit ihren Musikgruppen und -schulen solle dort proben und aufführen können. Die Finanzierung soll mit 200 Millionen Euro ausreichend sein, davon trage das Land NRW mehr als zwei Drittel und die Stadt will 60 Millionen aufbringen. Viel Geld für ein im Grundsatz begrüßenswertes Projekt, völlig offen ist, wie der städtische Haushalt das verkraften kann, besonders auch die laufenden Folgekosten über viele Jahre. Wenn durch so ein „Leuchtturm-Projekt“, wie der OB schwärmte, die soziale Schieflage in der Kommune noch schlimmer wird, wenn im Ergebnis Büchereien, Sportanlagen oder auch die Fördergelder für Unterstützungsinitiativen kleiner werden oder gar ganz wegfallen, steht den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt falsche Politik drastisch vor Augen.

Kluge Entscheidung

2014 erschien mit „Das Salz der Erde“ ein von Wim Wenders und dem Sohn Juliano Salgado produzierter Dokumentarfilm über das Leben und die Arbeit des Fotografen Sebastiao Salgado. Der Film wurde in Cannes ausgezeichnet, bei uns war er in Kinos und im TV zu sehen. Ein sehr guter Film, getragen von Empathie für die Arbeit des Kollegen und solidarisch in der Kritik an den fürchterlichen Lebensverhältnissen, die Millionen Menschen alltäglich erleiden müssen. Erfreulich, dass Wim Wenders dem Wunsch Sebastiao Salgados nachkommt und die Laudatio bei der Verleihung des „Friedenspreis des deutschen Buchhandels“ am kommenden Sonntag in der Frankfurter Paulskirche halten wird. Es lohnt sich diesmal, diese Veranstaltung live im ZDF ab 11 Uhr zu verfolgen, beide, der Preisträger und der Laudator, haben sich oftmals klug und einfühlsam zur künstlerischen Arbeit und den Aufgaben der Künstler in der Gesellschaft geäußert. Leider nutzt – nach heutigem Kenntnisstand – kein Sender die Gelegenheit, den Film auszustrahlen, wo doch sonst alles Mögliche auch ohne Anlass wiederholt wird. Siehe in dieser Ausgabe der UZ die Seiten 12/13.

Gewollte Ablenkung

Nach dem Attentat eines Faschisten letzte Woche in Halle plustern sich bürgerliche Politik und Medien wie gehabt auf. Betroffenheit wird geheuchelt und sofort die Gelegenheit genutzt, neues Personal, mehr Geld und die Verschärfung von Gesetzen zu fordern. Bundesinnenminister Horst Seehofer fiel unter anderem ein, die Behauptung, dass viele potenzielle Täter aus der Computerspielszene kämen, wäre bestimmt geeignet, Stimmung zu machen. Klassisches Manöver, unbedingt ablenken, den „Rechtsextremismus“ möglichst unkonkret zu halten, die Mär vom Einzeltäter schnell verbreiten. Als ob „Games“ das Problem wären. Freundlich gesagt: Seehofer hat keine Ahnung und ist hilflos. Deutlicher gesagt: Er und die herrschende Klasse insgesamt wollen sich die aktuelle Spielart faschistischer Gruppen nicht nehmen lassen, um ihre Politik der Unterdrückung, des Abbaus Bürgerrechten und der Diskriminierung demokratischer Proteste fortzusetzen. Der Deutsche Kulturrat hat die Äußerungen von Seehofer zurückgewiesen, der Verband der deutschen Game-Branche unterstellte Seehofer zu Recht, mit diesem Generalverdacht lenke er ab von den wirklichen gesellschaftlichen und politischen Ursachen.Herbert Becker

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"Kultursplitter", UZ vom 18. Oktober 2019



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