Kultursplitter

Angriffe

Die bulgarische Stadt Plowdiw ist eine der beiden „Kulturhauptstädte Europas“ in diesem Jahr. Für den Juli war eine Fotoausstellung geplant mit dem Titel „Balkan Pride“. Nun wollen reaktionäre Politiker die Ausstellung über vergangene Schwulen-und-Lesben-Paraden in Südosteuropa stoppen. Gedroht wird nicht nur damit, alle legalen Mittel einzusetzen, sondern auch mit Störungen und Zerstörungen dagegen vorzugehen. Gleichzeitig liegt ein Antrag dem Stadtrat vor, die Kulturdezernentin Svetlana Kuyumdzhieva aus dem Amt zu werfen. In den letzten Monaten haben sich in Bulgarien Übergriffe gegen Homosexuelle sowie Anschläge gegen Einrichtungen wie Büros und Treffpunkte der schwul- lesbischen Gemeinschaft gehäuft. Die EU-Kommission und das EU-Parlament vergeben jährlich den Titel „Kulturhaupstadt“, dazu gehört nicht wenig an Geld, das geplante Programm in allen Facetten wird bei der Bewerbung vorgelegt. Man darf also gespannt sein, ob man in Brüssel hinter den Initiatoren der Ausstellung und der Kulturdezernentin steht oder diesen homophoben Angriff stillschweigend durchgehen lässt.

Abhängen

Schon seit Jahren war bekannt, dass Emil Nolde ein Antisemit und Rassist war, selbstverständlich für ihn war die Mitgliedschaft in der faschistischen Partei. Nun endlich bequemt sich das Bundeskanzleramt, die diversen Gemälde von Nolde aus den Amtsräumen zu entfernen. Dafür soll der Maler Karl Schmidt-Rottluff mit seinen Bildern zu der fragwürdigen Ehre kommen, die Zimmer und Flure zu schmücken. Schmidt-Rottluff war vielleicht nicht ganz so energisch dabei, aber er ist für nicht wenige antisemitische Äußerungen bekannt. Nolde wurde zwar als „entarteter Künstler“ geführt, hatte auch ein sogenanntes „Malverbot“, wurde aber nicht weiter behelligt. Nolde, aber auch Schmidt-Rottluff gehören zu den Künstlern, bei denen die Frage notwendig gestellt werden muss, wie verhalten sich die „Kunst-Könige“ zur Macht, zum politischen Herrscher? Was zieht manche, wenn nicht sogar viele, zu den Räumen der Macht? Es mögen Geld und Anerkennung winken, manche versteigen sich zu dem Wunsch, sie könnten die Herrschenden beeinflussen, ja sogar anleiten. Martin Heidegger, Ernst Jünger, auch Gottfried Benn versuchten sich an dieser Aufgabe, sie scheiterten kläglich und formulierten daraus dann noch ihren „inneren Widerstand“. Was in den Räumen der Regierung so an den Wänden hängt, ist weniger Repräsentationszwecken geschuldet, wie in Konzernzentralen, sondern eher der Absicht, Kunst und Künstler zu binden, ohne ihnen auch nur ein Fitzelchen Einfluss zu geben.

Drohung

Nicht ganz ungefährlich sind die Ermittlungen, die Staatsanwalt Martin Zschächner aus Gera gegen das „Zentrum für Politische Schönheit“ in Gang gesetzt hat. Basierend auf einer Strafanzeige seiner Behörde wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ setzt der Beamte nun alle Hebel in Bewegung, um den Vorwurf mit „Beweisen“ zu belegen. Bedrohlich für die Aktionisten ist dieser § 129 des Strafgesetzbuches, weil er den Behörden erlaubt, weitreichende Überwachung, umfangreiche Datensätze und den Einblick in bisherige Aktionen der Gruppe ohne weitere Begründung durchzuziehen. Anlass war die „Kunstaktion“ der Gruppe im November 2017 im thüringischen Bornhagen, dem Wohnort von Björn Höcke. Fünf Mitglieder des „Zentrums“ hatten ganz in der Nähe des Höcke-Hauses eine Nachbildung des Berliner Holocaust-Denkmals aufgestellt. Die Künstler wollten damit gegen eine Aussage Höckes demonstrieren, der das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als „Denkmal der Schande“ bezeichnet hatte. Der alte Streit, „Was darf Kunst“ oder besser, „Was muss Kunst tun“ wird, wie des öfteren schon, nicht politisch debattiert, sondern mit justiziellen Mitteln bestritten.Herbert Becker

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"Kultursplitter", UZ vom 12. April 2019



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