Kultursplitter

Koloniales Erbe

Das Ende des deutschen Kolonialreichs in Afrika jährt sich in diesen Tagen zum 100. Mal, daran erinnern zehntausende, im kolonialen Gewaltkontext angeeignete Kulturgüter in deutschen Museen.

Man kann sicher sagen, dass es für jedes Objekt eine eigene Geschichte gibt, und dass die sich sehr unterscheiden können. Die kolonialen Situationen waren sehr unterschiedlich, aber es kann keinen Zweifel geben, dass Kolonialismus an sich einen Unrechtskontext darstellt. Und genau das scheint die Krux zu sein, die Bundesregierung will sich bisher nicht eindeutig positionieren, sie will natürlich weder sagen, dass Kolonialismus an sich ein Unrechtssystem ist, noch Teil kapitalistischer Verwertungslogik. Aber auffällig ist, dass er anders als die faschistische Terrorherrschaft oder die angebliche „SED-Diktatur“ nicht bewertet wird. Kolonialgeschichte wird als völlig neutrale Epoche dargestellt, und da muss nachgelegt werden, da muss es ein klares Bekenntnis geben. Aber was die Provenienzforschung hier angeht, ist es tatsächlich so, dass das jahrzehntelang sträflich vernachlässigt wurde. Und jetzt scheint da ein wenig zu passieren, aber viel zu wenig. Andere ehemalige Kolonialmächte sind da schon weiter, siehe Frankreich, siehe Portugal.

Noch mal sehen

Gemeinsam mit Roberto Rossellinis „Rom, offene Stadt“, gilt „Fahrraddiebe“, der am 24. November 1948 in Italien uraufgeführt wurde, als Gründungsfilm des italienischen Neorealismus. Das Drehbuch entwickelte der Regisseur Vittorio de Sica, zu jener Zeit ein erfolgreicher Schauspieler, gemeinsam mit Cesare Zavattini. Mit seinen Schriften wurde Zavattini zum einflussreichen Theoretiker und zum Verfechter der neorealistischen Idee. In dokumentarisch anmutenden Aufnahmen zeigt die Kamera die proletarischen Viertel der italienischen Hauptstadt. Karge Wohnungen, Menschen in abgetragener Kleidung, die Gesichter sorgenvoll. Am Stadtrand, wo de Sicas Hauptfigur Antonio Ricci mit seiner Familie lebt, gibt es keine Straßen. Eher sind es bucklige Wege aus festgetretener Erde. Als Antonio zum ersten Mal zu sehen ist, erhebt er sich aus dem Staub, klopft sich die Jacke ab und läuft erwartungsvoll zu dem Mann, der ihm gerade eine Arbeitsstelle als Plakatkleber angeboten hat. Die Bedingung: der Besitz eines Fahrrads. De Sicas Hauptdarsteller Lamberto Maggiorani, eigentlich Mechaniker in einer Fabrik, verkörpert bewegend die zunehmende Verzweiflung seiner Figur. Im Film trägt der Laiendarsteller seine eigene Kleidung, genau wie Enzo Staiola, der seinen Sohn verkörpert. De Sica suchte eine gelebte Wirklichkeit, der sich seine Fantasie anzupassen hatte. Im TV selten zu sehen, als DVD oder Blue-ray zu bekommen.

Provokation

Loyalität in der Kultur. Diesen Titel hat die zuständige israelische Ministerin Miri Regev dem Gesetz gegeben, das durchs Parlament ging. Es soll dem Kulturministerium ermöglichen, zum Beispiel Theatern, Orchestern, Filmproduktionen oder auch einzelnen Künstlern staatliche Förderung zu entziehen oder gar nicht erst zu gewähren – wenn die Kulturschaffenden aus Sicht der Behörde gegen Regeln verstoßen, die im Gesetz vage formuliert sind. Dort heißt es zum Beispiel: Nicht gefördert werden könne der, der die Prinzipien des Staates in Frage stelle oder in Zweifel ziehe, dass Israel ein jüdischer, demokratischer Staat ist. Und wer definiert, was Hetze ist? Ministerin Regev, die einst Chefzensorin der israelischen Armee war? Hunderte Kulturschaffende im Land haben bereits eine Petition gegen das Gesetz unterschrieben. Dirigent Ariel Zuckermann vom „Israel Kammerorchester Tel Aviv sagt „Wenn man das verbietet, die Freiheit, gewisse Komponisten zu spielen oder gewisse Ansagen zu machen, die kritisch sind für Israel, können diese Institute die Zuschüsse vom Staat verlieren oder reduziert bekommen. Das ist schon sehr gefährlich für eine Gesellschaft.“ „Es fängt mit Kultur an, und wo geht es weiter?“, fragt er mit Recht.Herbert Becker

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"Kultursplitter", UZ vom 30. November 2018



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