Kultursplitter

Von Herbert Becker

Chemnitz wirbt

Die Stadt Chemnitz möchte 2025 Kulturhauptstadt Europas werden. In diesem Jahr darf eine deutsche Stadt (oder auch ein Städtebund) sich mit dem Titel schmücken. Eine Website zur Bewerbung der Stadt beginnt mit dem Satz: „Wenn Chemnitz etwas im Blut liegt, dann sind es Aufbrüche.“ Noch nicht geändert, obwohl nach dem letzten Wochenende dringend nachgedacht werden müsste. Gerade weil nach den Pogromen in Chemnitz nun ernsthaft darüber gesprochen werden müsste, was wichtig in der Stadt sei, ist diese Bewerbung doch wohl eher deplatziert und mit solchen Sprüchen schauderhaft. Die offizielle Begründung der Stadt: Man sei in einer sehr schwierigen Situation, man müsse einen demokratischen Aufbruch versuchen. Vielleicht könnten sich ostdeutsche Städte wie Zittau, Magdeburg und Dresden, die sich ebenfalls als Kulturhauptstadt bewerben wollen, enger zusammenschließen, ist ein erweiteter Vorschlag der Kulturbürokratie. Von Kosten ist noch keine Rede, eher schwärmt man von 2010, als es den Städten im Ruhrgebiet erfolgreich gelungen sei, das Jahr zu gestalten, obwohl danach genügend kritische Stimmen den Eventcharakter betonten, der schnell verpufft sei und den Menschen wenig genutzt habe.

PR-Gag

Eine neue Initiative will verfolgte Kulturschaffende im Ausland schützen, Namensgeber ist Martin Roth, der Kulturmanager starb am 6. August 2017.  Er war ein erfolgreicher Museumsleiter und schied nach Jahren in London mit Bemerkungen über das Anwachsen nationalistischer und antieuropäischer Strömungen aus. Nun haben das Goethe-Institut und das vom Auswärtigen Amt geförderte „Institut für Auslandsbeziehungen“, dessen Präsident Roth war, die Gründung einer Initiative bekanntgegeben. In der Pressemitteilung heißt es, die Initiative sei ein „weltweites Schutzprogramm“, das „gefährdeten Akteuren aus dem Kulturbereich die Möglichkeit gibt, sich in ein sicheres Land ihrer Heimatregion oder nach Deutschland zu begeben, um dort weiterzuleben und zu arbeiten“. So könnten die Kulturschaffenden mal aus ihren Gefährdungen herauskommen und „durchschnaufen“. Man wolle kritischen Künstlern „Schutzräume“ bieten, damit sie ihrem künstlerischen Schaffen weiter nachgehen können. Die Künstler werden der Initiative über die Netzwerke der deutschen auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik vermittelt. Mittelfristig plane man ein Jahresbudget von 5 Millionen Euro, davon hofft man bis zu 100 Stipendien pro Jahr zu vergeben. Die Flüchtlinge, die es trotz allem schaffen, in die Republik zu kommen, würden sich freuen, eine solche Starthilfe zu erhalten, aber sie schmücken leider nicht das Auswärtige Amt.

Fauler Zauber

Jahrelang konnten Passanten auf der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin-Hellersdorf das Gedicht „Avenidas“ von Eugen Gomringer lesen. Dann stießen sich Studentinnen an vermeintlich sexistischen Zeilen und es begann eine breit geführte Debatte über Sexismus und die Freiheit der Kunst, die UZ berichtete darüber. Der Text wurde entfernt und nun wird es mit einem Gedicht der Schriftstellerin Barbara Köhler „übermalt“. Für den Zeitraum von fünf Jahren werden ihre poetischen Zeilen das Gesicht der Hochschulfassade prägen. Das Gedicht grüßt die Vorübergehenden ausdrücklich, es wünscht „bon dia“ und „good luck“. Grotesk, dieser von der Hochschule angenommene Text, nichtssagender geht es kaum. Frau Köhler selbst sagt, dass sie sich keineswegs mehr Fassadengedichte im öffentlichen Raum wünsche. Denn Texte unterschieden sich, je nachdem ob sie vor zwei Augen oder vor aller Augen geschrieben stünden. Warum sie dennoch mitmacht, bleibt ihr Geheimnis. Aber, wie schon Erasmus von Rotterdam wusste: „Wer oft genug ans Hohle klopft, der schenkt der Leere ein Geräusch.“ Der Hochschulleitung sei das Zitat ans Herz gelegt.

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"Kultursplitter", UZ vom 7. September 2018



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