Auszüge aus dem Referat von Toni Köhler-Terz auf der XII. Tagung des Parteivorstandes der DKP

Kultur ist Menschwerdung

Lange haben wir darum gerungen, wieder eine Kulturkommission bei unserem Parteivorstand zu berufen. Seit Mai letzten Jahres haben wir es geschafft, eine kleine Gruppe von Genossinnen und Genossen ist aktiv und hat die Arbeit aufgenommen.

Zuerst haben wir uns natürlich gefragt, was kann und soll eine solche Kommission leisten. Dann wurde ein Arbeitsplan erstellt. Man will ja in der Einheit von Theorie und Praxis handeln. Da fängt es bei der Theorie an.

Man findet Wesentliches zu Kultur und Kunst bei Marx, Engels, Lenin, Gramsci, Luxemburg, Zetkin, Lukàcs, Brecht – eine unvollständige Liste an Kommunisten, die sich dazu geäußert haben. Daher benötigt man schon tieferes Studium und ein gerüttelt Maß an Abstraktionsfähigkeit, die schon entwickelten Erkenntnisse und Grundlagen zu finden und an der konkreten Praxis zu prüfen und anzuwenden.

Dazu kommen zum Zweiten Werke von Hans Heinz Holz, Thomas Metscher und anderen, die zwar verfügbar, aber wenig genutzt werden oder sehr schwer zu verstehen sind, es sind wissenschaftliche Schriften.

Drittens ist es augenscheinlich, dass es Defizite in der kommunistischen Bewegung in Deutschland im Umgang mit Kultur gibt. Letztlich ist die kulturelle Bildung der Arbeiterklasse wenig entwickelt und kann der Hegemonie der herrschende Klasse kaum etwas entgegensetzen.

Beginnen wir mit dem Begriff Kultur. Eine gute Definition habe ich bei Manfred Wekwerth gefunden, der Wolfgang Harich zitiert: „Der Mensch, nicht nur biologisch, sondern vor allem historisch bestimmt, verliert durch seine Produktion mehr und mehr die natürliche Anpassungsfähigkeit an die Umwelt und ist als ‚biologisches Mängelwesen‘ gezwungen, sich eine eigene Umwelt zu schaffen, in der die Befriedigung seiner Bedürfnisse zugleich stets neue Bedürfnisse erzeugt. Sich selbst produzierend, indem er produziert, wird der Mensch zu einem kulturellen Wesen, das sich stets neu hervorbringt. Kultur als Humanisierungsprozess des Menschen, denn seine Alternative ist, sich höher zu entwickeln oder zugrunde zu gehen.“

Daraus geht hervor, dass es Kultur und Kunst gibt, seit der Mensch sich aus seinen früheren Formen entwickelt hat. Seitdem prägt immer die Gestaltung der Lebensumstände des Einzelnen und der Gesellschaft die Realität und damit deren Reflexion in Kunst und Kultur und deren Wirkung auf die Umstände. Weil nun das alles durch den Menschen passiert und dieser seine Umgebung eben subjektiv – also individuell gefärbt durch Lebenserfahrung, Erziehung, Religion, soziale Stellung usw., letztlich seine Persönlichkeit – wahrnimmt, sind die daraus folgenden Konsequenzen ebenso individuell.

Wir wissen, dass die Geschichte der Menschheit die Geschichte von Klassenkämpfen ist und dass sich gesellschaftliche Hauptwidersprüche an der Stellung innerhalb der jeweiligen Produktionsverhältnisse festmachen lassen. So unterscheiden sich also die Protagonisten jener um Hegemonie kämpfenden Klassen ganz besonders und essenziell in diesem Punkt und also auch ihr Verständnis von Kultur. Damit ist Kultur wesentliches Mittel zur Durchsetzung gesellschaftlicher Macht, ist Waffe zur Durchsetzung von Klasseninteressen. Welches Interesse haben nun die Arbeiterklasse und die mit ihr verbündeten Schichten einer Gesellschaft, zum hegemonialen Träger der Kultur zu werden?

Clara Zetkin hat sich intensiv damit beschäftigt und sagte in der Diskussionsrede „Zur kommunistischen Schulpolitik“, gehalten1920: „Je stärker die geistigen, die sittlichen Werte eines Menschen sind, je höher das Maß seines Wissens, die Entfaltung all seiner Kräfte und Talente, umso größer wird das Maß an revolutionärer Kraft, revolutionärer Erkenntnis, revolutionären Tatwillens sein, das für den Umsturz des seelenknechtenden Kapitalismus, für den Aufbau des Kommunismus eingesetzt werden kann.“

Soll heißen, je mehr Bildung und insbesondere kulturelle Bildung der Arbeiterklasse zukommt, desto stärker und entschlossener wird sie sich durchsetzen können. Heißt für uns Kommunisten, um diese Bildung zu kämpfen – für uns selbst und die Arbeiterklasse.

Was sind die Grundlagen einer solchen kulturellen Bildung der Arbeiterklasse? Sie wird, das kann man wohl sagen, von Solidarität geprägt sein. Ich glaube, darüber gibt es keine Differenzen. Da geht es um internationale Solidarität, aber auch um den Umgang miteinander und in der Diskussion.

Sie wird geprägt sein vom Wissen und tiefster Überzeugung, dass es eine bessere Welt geben kann, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen.

Sie wird sich gegen Rassismus, Ausgrenzung, Sozialdarwinismus, gegen den Unterschied von Arm und Reich wenden, sie wird eine Kultur der Gleichberechtigten und des Miteinanders sein.

Was nun unterscheidet kommunistische von linker Kulturpolitik und was ist ihnen gemeinsam?

Beide wollen für die gesamte Bevölkerung eine Verbesserung der Lebensbedingungen. Sie kämpfen gegen Ausgrenzung, Rassismus, gegen Militarismus und Krieg. Im linken bürgerlichen Spektrum äußert sich das oft in Form einer sogenannten „Gegenkultur“. Diese zieht sich oft in ihre Nischen zurück, häufig unverständlich, hochgeistig und stolz darauf, gegen das System zu sein, und entfernt sich so von der Arbeiterklasse und setzt sich mit Nebenwidersprüchen auseinander.

Was uns Kommunisten davon unterscheidet, ist die unbedingte Beachtung des Gesamtzusammenhangs. Wir sind uns bewusst und propagieren vehement, dass die umfassende Lösung andere, neue Umgebungsbedingungen braucht, in denen das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen erreicht ist.

In unserem Programm steht: „Es geht nicht um die ‚Befreiung von der Arbeit‘, sondern um die Befreiung der Arbeiterklasse von kapitalistischer Ausbeutung. Erst dann kann sich der Mensch als kulturelles Wesen entwickeln. Kultur wächst da, wo der Mensch seine Anlagen und Neigungen über die Befriedigung der unmittelbaren Lebensbedürfnisse hinaus entfalten kann. Die Gesellschaft wird erst dann eine wirklich menschliche sein, wenn sie dieses ‚Reich der Freiheit‘ herstellt, in der das ‚Reich der Notwendigkeit‘ aufgehoben ist.“

Das ist der Unterschied kommunistischer Kulturpolitik zu allen anderen. Die Zielsetzung ist die einer umfassenden wissenschaftlichen und kulturellen Bildung der arbeitenden Menschen, um die Verhältnisse umzustoßen, in denen „der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“.

Wir erleben heute einen ausgeprägten Klassenkampf „von oben“. Die kapitalistische Klasse hat Abschied genommen von bürgerlicher Liberalität, von Sozialpartnerschaft und Interessenausgleich. Angesichts der Krise des Kapitalismus wurde der Krieg erklärt und die Herrschenden führen ihn mit allen Mitteln, gerade und insbesondere auf dem Feld der Bildung und Kultur können wir das erleben. Beginnend mit der Delegitimierung des realen Sozialismus, fortgeführt über Anstrengungen, die Klasse zu spalten, bis zu einem wahren Bombardement in den ihnen zur Verfügung stehenden Medien und den Möglichkeiten der Online-Angebote führen die Herrschenden einen ungebrochenen, mittlerweile allumfassenden Kampf für ihre Hegemonie in der Kultur und gegen jede Alternative.

Was ist aber nun mit jenen „linken“ Künstlern und Kulturschaffenden, bei denen man die Wurzeln und Anstöße für eine zukünftige, höher entwickelte Kunst und Kultur des Proletariats vermutet?

Clara Zetkin sagte 1924: „Der Intellektuelle ist in Wirklichkeit mit dem Proletarier verbunden durch seinen Gegensatz zum Kapital; er ist unüberbrückbar getrennt von der Bourgeoisie durch seine Rolle als Kleinstwarenverkäufer oder Verkäufer der Ware Arbeitskraft. In welcher Gestalt er auch als Verkäufer auf dem Markt erscheint, er wird der Unterliegende sein, der Großkapitalist wird über ihn triumphieren. Die Sorge um das Stück Brot macht ihn genauso unfrei wie den Proletarier der Handarbeit.“

Thomas Metscher analysiert dieses Verhältnis von Künstlern und Kulturschaffenden noch einmal konkreter. Er spricht von Kunst, einer wesentlichen Ausdrucksform der Kultur. „Sie ist Mittel zur Distanzierung und Ausgrenzung der Mehrheit und Legitimierung einer Alternativlosigkeit des Systems von der herrschenden Seite, gleichzeitig dient sie aber von anderer Seite als ‚Gegenzauber‘ (hier nicht im Sinne einer reinen Gegenkultur gemeint) über die Offenlegung der Widersprüche, Korruption und Mängel der herrschenden Gesellschaft und das Aufzeigen von Alternativen. Sie formuliert und weckt Phantasie, schenkt Kraft, die Welt zum eigenen Nutzen zu verändern.“ Er schreibt weiter: „Die Unterwerfung der Institution Kunst unter den Markt steht nur im scheinbaren Widerspruch zu ihrer Transformation in einen Apparat ideologischer Meinungsbildung (angeführt von Presse, Fernsehen und Funk und den in ihnen verorteten Instanzen der Kunstkritik): zu ihrem Aufbau als ideologische Macht, die Prozesse der Produktion, Distribution, Konsumtion und Deutung von Kunst prägt und kontrolliert. In Wahrheit werden die Institutionen Kunst und Markt zunehmend miteinander verschmolzen. Hinter der Transformation der Institution Kunst zu einer ideologischen Macht verbirgt sich die Konformität mit dem Markt.“

Dort werde dann entschieden, was gut oder schlecht, Kunst oder nicht sei, wer sich nicht fügt oder verweigert wird ausgeschlossen und in das ökonomische Nichts gestoßen. Alles natürlich im Sinne der Kapitalinteressen.

Weiter schreibt er: „Verteidigung und Aufbau authentischer, in der Zielsetzung emanzipatorischer Kunst hat auf verschiedenen Ebenen zu erfolgen. Wo immer es möglich ist, wird in der vorhandenen Institution Kunst zu arbeiten sein. Das ist politisches Gebot, und es ist auch ein Gebot des Selbstinteresses. Zugleich ist aber der Aufbau und Ausbau von Gegeninstitutionen voranzutreiben. Langfristig wird der Kampf um Hegemonie ohne den Aufbau starker Gegeninstitutionen nicht zu gewinnen sein.“

Wie soll so etwas zu leisten sein? Lenin und Gramsci sprechen direkt von einer kulturellen Vorbereitung in der Arbeiterklasse, die auch die wertvollen Errungenschaften vorheriger Kulturen verarbeiten und sich aneignen muss. Das legt nahe, dass genaue Analysen und Statistiken notwendig sind. Was kann, muss, sollte eine solche „Vorbereitung“ leisten? Was kann eine so kleine Partei wie die unsere hier tun?

Wir können zuerst den Begriff Genosse ernst nehmen. Der umfasst neben dem Kampfgefährten auch so etwas wie den Freund, den Verbündeten. Das bedeutet solidarisches Miteinander, das auch nach außen strahlt. Das ist nicht unwesentlich und ein Teil dieser „kulturellen Vorbereitung“.

Ein zweiter Schritt wäre: Wir sollten damit aufhören, die Formulierung „kultureller Rahmen“ oder Ähnliches für Veranstaltungswerbung zu verwenden. Ein Kommunist, der „keine Ahnung von Kultur hat“, der hat die Welt nicht begriffen, oder es wird Zeit, dass wir als Partei dafür sorgen, dass die Genossin/der Genosse „Ahnung“ bekommt, durch kulturelle Bildung zum Beispiel.

Die DKP ist so klein, sie kann das nicht leisten? Doch, wir können das, wenn wir wollen und die Notwendigkeit erkannt haben. Wenn wir unseren Platz in der Geschichte als Kommunisten einnehmen wollen, müssen wir es tun. Aber wir fangen nicht bei Null an. Erinnert sei an herausragende Leistungen, nicht nur durch die KPD in ihrem politischen Kampf seit ihrer Gründung, und natürlich die vielen Beispiele aus den 40 Jahren der Geschichte der DDR, für die die Aneignung des kulturellen Erbes und die Förderung der Künste ein Bestandteil der Politik war. Die DKP hat in ihrer 50-jährigen Geschichte eine Menge gemacht, ich nenne ein paar Beispiele: Bereits 1971 das ersteKulturpolitische Forum in Nürnberg, dann Arbeitstagungen zu Fragen der bildenden Kunst, zu Fragen der Literatur und zu Fragen des Theaters. Auf dem 7. Parteitag 1986 wurde eine „Kulturpolitische Entschließung“ verabschiedet, 1988 gab es eine Arbeitstagung zur kommunalen Kulturpolitik. Unterstützung fand diese Arbeit durch Tagungen der Marx-Engels-Stiftung wie die über Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“, an die Zeitschrift „Kürbiskern“, die Künstlergruppe „Tendenzen“ und die „Kleine Arbeiterbibliothek“ sei erinnert. Und selbst nach 1990 haben wir es geschafft, drei „Kulturforen“ mit fruchtbaren Debatten durchzuführen.
Ein erster Arbeitsauftrag, den wir uns gegeben haben, beschäftigt sich mit der Lage der in der Kulturwirtschaft tätigen Menschen. Einige Zahlen, die wir zusammengetragen haben aus Erhebungen des „Bundesamtes für Statistik“ und der „Künstlersozialkasse“, zeigen deutlich: Die Kultur- und Kreativwirtschaft (so wird der Bereich genannt) erzielte 2016 einen Umsatz von über 154,4 Milliarden Euro, die Bruttowertschöpfung lag bei 98,8 Milliarden Euro, knapp hinter der des Maschinenbaus, Bereiche wie die chemische Industrie, Finanzdienstleistungen und Energieversorger liegen deutlich darunter.

In der Kultur- und Kreativwirtschaft arbeiten 1,1 Millionen Menschen in Vollzeit, weitere 500.000 sind als geringfügig Beschäftigte erfasst. Ein Viertel aller, das heißt über alle Branchen hinweg, geringfügig Beschäftigten arbeiten in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Mit über 1,6 Millionen Menschen sind es mehr als Maschinenbau und Chemieindustrie zu ihren Beschäftigten zählen, auch die Automobilindustrie kommt „nur“ auf 834.000 Beschäftigte. Die meisten Beschäftigten oder Tätigen in der Kunst- und Kulturwirtschaft sind nicht gewerkschaftlich organisiert, wenn doch, dann bei ver.di im Fachbereich Kultur- und Medien.

Wir müssen uns auch dem Phänomen der „Ehrenamtlichen“ widmen, viele soziokulturelle Zentren und Einrichtungen, Musik- und Theatervereine, selbst Heimatmuseen und Gedenkstätten können ihr Angebot nicht ausreichend leisten, weil dort nur die wenigsten als Vollzeitkräfte beschäftigt sind, viele unterbezahlt sind oder nur geringe Aufwandsentschädigungen erhalten. Was dort geleistet wird trotz oft leerer kommunaler Kassen ist so wichtig, weil es für die kulturelle Bildung der arbeitenden Menschen und der nächsten Generationen einen ersten Zugang bedeuten kann.

Wir arbeiten intensiv an der inhaltlichen und formalen Gestaltung der Kunst-und-Kultur-Halle für das anstehende UZ-Pressefest. Als besonderes Highlight hoffen wir, dass es eine ausgesuchte Ausstellung von Werken bildender Künstler der DDR geben wird und es wird ein ausgesuchtes Bühnenprogramm geben mit Diskussionen, Lesungen, auch klassischer Musik, wir wollen aufmerksam machen auf die „runden“ Geburtstage von Hegel, Hölderlin und Beethoven. Der 28. August ist Goethes Geburtstag, aber auch der Todestag von Peter Hacks. Aus diesem Grund wollen wir sein Theaterstück „Rosi träumt“ aufführen lassen, ein heiteres Stück über den Anbruch einer neuen Zeit und die Grenzen einer aufs Jenseits fixierten Utopie.

Mit dem Programm wollen wir einen Beitrag zur kommunistischen Kulturpolitik leisten, wie sie in der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung gepflegt wurde, wird und wieder verstärkt gepflegt werden sollte.

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"Kultur ist Menschwerdung", UZ vom 21. Februar 2020



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