Wie die SPD sich Kulturpolitik vorstellt

Kultur für alle

Von Herbert Becker

Wer formuliert solche Plattitüden und glaubt, damit Aufmerksamkeit zu gewinnen: „Kunst und Kultur bilden das Fundament unserer Gesellschaft. Menschen besitzen ein Grundbedürfnis an Kultur. Sie ist essentieller Bestandteil unseres Lebens. Kultur ist das sinnstiftende Gut und macht den Menschen erst zu dem, was er oder sie ist. Wir stehen für eine Kultur der Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – gerade auch im künstlerischen Bereich. Die Kunst braucht alle Freiheiten – und hat alle Freiheiten!“?

Der Multifunktionär der SPD, Torsten Schäfer-Gümpel, ist neben anderem auch der Leiter der Kulturkommission der Partei. Er stellte vor kurzem sogenannte „Kulturpolitische Leitlinien der SPD“ vor, möglicherweise in der Hoffnung, damit im Bundestagswahlkampf punkten zu können.

Ob damit auch Wünsche verbunden sind, wie anno 1972 würden sich hinter die Partei viele nahmhafte Künstlerinnen und Künstler scharen, kann angesichts des dünnen Gehalts dieses Papiers füglich verneint werden. Die Partei ist seit Jahrzehnten in Regierungsverantwortung in Bund und Land, ihre eigene Politik des Sozialabbaus, der Deregulierung und einer Schuldenbremse, hat ganz wesentlich dazu beigetragen, Kunst und Kultur ins Abseits zu schieben oder den Verwertungsmaschinerien der Industrie zu überlassen. Im Papier heißt es weiter: „Wir wollen Kunst um ihrer selbst willen fördern und nicht erst dann, wenn sie ökonomischen, sozialen oder politischen Zwecken nützt. Wir werden bei Projektförderungen künftig noch stärker auf Jurys zurückgreifen. Fachliche Expertise sollte bei Förderentscheidungen stets leitend sein.“ Man fragt sich, wer mit diesem „wir“ gemeint ist, geht es um Projekte der eigenen Partei oder um Vorhaben, die aus Finanztöpfen der Öffentlichen Hand gefördert werden sollen? Im weiteren Verlauf des Textes, der alle wichtigen Felder der Kunst- und Kulturwirtschaft abgrast, bleibt es bei mehr als allgemein gehaltenen Betonungen, wie wichtig dieses und auch jenes sei. Ob es die Künstlersozialversicherung ist, die nicht nur erhalten werden soll – obwohl es keine Stimmen gibt, die sie abschaffen wollen – sondern für weitere sogenannte „Solo-Selbstständige“ zu öffnen, ob es die Beratungsmöglichkeiten für Studierende sind, die wohl angeblich alle danach streben, eine individuelle Karriere als Einzelkünstler zu starten oder ob es die anscheinend dringend notwendige Parität der Geschlechter in allen Kommissionen, Jurys oder Gremien ist, für alle Bereiche bleibt es bei der unverbindlichen „wünsch-dir-was“ Haltung.

Da, wo die SPD ein wenig konkreter wird, kommt die Politik der Partei wie in anderen großen gesellschaftlichen Bereichen über die Beschwörung, dass Auswüchse korrigiert werden müssen, aber das Primat des neoliberalen Handelns nicht in Frage gestellt wird, nicht hinaus. Schlimm wird es, wenn nach einer oberflächlichen Beschreibung, was zum deutschen und europäischen Faschismus zu tun sei, in üblich-übler Weise heißt: „Das Erinnern an die SED-Diktatur in Deutschland ist eine gesamtdeutsche Aufgabe, die in Ost und West gleichermaßen bedeutsam ist. Die Arbeit der Bundesstiftung Aufarbeitung soll finanziell und personell gestärkt werden. Neben der rechtlichen ist insbesondere auch die menschliche Anerkennung der Opfer und der von Unrecht Betroffenen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Wir setzen uns dafür ein, dass die Rehabilitationsgesetze entfristet werden. Auch im Bereich der Aufarbeitung des SED-Unrechts muss die historisch-politische Bildungsarbeit der Gedenkstätten deutlich verstärkt werden.“

Die Kulturhoheit der Länder wird im Papier anerkannt, aber nach der richtigen Erkenntnis, „in fast allen deutschen Städten steht die kulturelle Infrastruktur vor erheblichen Herausforderungen: Sanierungen und Modernisierungen sind an vielen Orten überfällig, die Anpassung an neue Bedarfe drängt. Bisher konnte dem nur punktuell begegnet werden, etwa durch einzelne Sanierungsprojekte.“ Dann kommt nicht etwa das Eingeständnis, dass sogenannte „Leuchttürme“ wie der Bau der Elbphilharmonie oder der Wiederaufbau des Berliner Schlosses dafür genau kontraproduktiv sind, sondern es wurde zugestimmt bzw. sogar selbst politisch verantwortet. Überall betreibt die SPD in Stadt und Land aktiv die weitere Gentrifizierung von Bezirken, ist aber der Meinung, dass „die Verfügbarkeit von preiswerten innerstädtischen Ateliers, Proben-, Versammlungs- und Präsentationsräumen zu den zentralen Faktoren für eine erfolgreiche Kulturpolitik gehöre.“

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"Kultur für alle", UZ vom 11. August 2017



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