Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung ist wieder da

Kürzer statt flexibler

Von Rainer Perschewski

30 Stunden sind genug – Arbeitszeitkonferenz der DKP

Für eine neue gewerkschaftliche Offensive zur Arbeitszeitverkürzung

Arbeitszeitverkürzung debattieren, begründen, verankern. Gemeinsame Schritte finden.

4 November 2017, 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr.

Haus der Essener Gewerkschaften, Teichstraße 4a, 45 147 Essen

9.00 Uhr     Einlass

10.00 Uhr    Eröffnungsreferat von Margareta Steinrücke, Mitglied ATTAC-Deutschland, Koordinatorin der Initiative „Arbeitszeitverkürzung jetzt“.

12.00 Uhr    Pause

13.00 Uhr    Aktuelle Aussagen und Debatten zu Arbeitszeitfragen der Gewerkschaften

        Robert Sadowsky, 1. Bevollmächtigter IGM-Gelsenkirchen

        Tobias Michel, ehem. Betriebsrat, Mitglied ver.di-

        Fachkommission Krankenhäuser und Reha NRW

        Rainer Perschewski, Betriebsgruppensprecher EVG,

        Betriebsratsvorsitzender

14.00 Uhr    Diskussion

16.00 Uhr    Ende der Konferenz

30 Stunden sind genug! So lautete der Titel einer Broschüre der DKP vor einigen Jahren. Damit sollte eine Diskussion in Betrieben und Gewerkschaften angestoßen werden. Nun wird diese Broschüre sicher nicht weit außerhalb der Partei gewirkt haben, aber: Die Diskussion um die Arbeitszeitverkürzung ist wieder da – nur anders als gedacht. Während es früher hauptsächlich um die kollektive Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden ging, ist die Debatte heute vielschichtiger.

Seit einiger Zeit laufen in den Mitgliedsgewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) die Debatten. Sie sind Ausdruck der Suche nach einer Reaktion auf die Produktivitätssteigerungen in der Wirtschaft und damit einhergehender Arbeitsverdichtung. Forciert wird die Debatte aufgrund zunehmender Veränderungen in der Arbeitswelt, aufgrund immer schnellerer technischer Entwicklungen und deren Einsatzes (Stichwort: Digitalisierung). Vielerorts verändert sich die Art der Verrichtung der Tätigkeiten, so dass Arbeitszeit und Arbeitsort nicht mehr als so starr betrachten werden müssen. Obwohl aus unterschiedlichem Interesse heraus sind es nicht nur die Unternehmen, die nach mehr Flexibilität der Arbeitszeit rufen. Unter der Überschrift „Work-Life-Balance“ oder „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“ wird die Forderung nach mehr Zeitsouveränität auch von den abhängig Beschäftigten begründet.

Deutlich zu spüren bekam das die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) in der Vorbereitung ihrer letzten Tarifrunde. In den Jahren zuvor hatte sie verstärkt auf die Beteiligung ihrer Mitglieder an der Aufstellung der Tarifforderungen gesetzt. Schon in der Debatte wurde deutlich, dass das Thema nicht einfach mit einer Wochenarbeitszeitverkürzung abzuhandeln war. Schließlich ergab die Mitgliederbefragung fast die Gleichrangigkeit der Forderungen nach mehr Urlaub und Arbeitszeitverkürzung, so dass die Tarifkommission ein Wahlmodell vereinbarte. In der Umsetzung jedoch haben gut 60 Prozent aller Beschäftigten die Variante „mehr Urlaub“ gewählt und nur knapp zwei Prozent die Wochenarbeitszeitverkürzung.

Arbeitszeitsouveränität betrifft aber auch die Lage der Arbeitszeit. Außerhalb von Schichtdiensten kommen zunehmend Forderungen nach Möglichkeiten, die Arbeitsleistung in einem selbstgewählten Tageszeitraum zu erledigen. Hier kommen die Betriebsräte unter Druck. Die Lage der Arbeitszeit liegt im direkten Zugriff der betrieblichen Mitbestimmung. So gibt es immer mehr Betriebsvereinbarungen, die diesem Anliegen Rechnung tragen, indem der Arbeitszeitraum am Tag ausgedehnt wird. Das aber ist eine Gratwanderung, in der die Interessenvertretungen versuchen, die Balance zwischen Arbeits- und Gesundheitsschutz und der Ausbeutung der Arbeitskraft zu halten. Dazu kommen die Probleme der Kontrolle, wenn auch noch an selbstgewählten Orten die Arbeitsleistung erbracht werden kann.

Aber auch in Schichtdienstbetrieben zieht mehr Flexibilität ein, was beispielsweise das selbstständige Tauschen von Schichten oder Beginn und Ende der Arbeit angeht.

Interessenvertretungen sind daher mehr denn je auf einen starken Rückhalt im Betrieb und partizipative Elemente in der Ausgestaltung ihrer Arbeit angewiesen. Wie gut oder schlecht sich das in der Praxis widerspiegelt hängt im Wesentlichen daran, ob es starke Gewerkschaften gibt, denn Arbeitszeitregulierungen sind nach wie vor Machtfragen in der Klassenausein­andersetzung. Starke Gewerkschaften sind in der Lage, tarifliche Leitplanken einzuziehen. Daher steigt die Bedeutung der Gewerkschaften für die Betriebsräte.

Sollten sich diese Tendenzen fortsetzen – und vieles spricht dafür, ist es nur konsequent, wenn Beschäftigte eher längere „Auszeiten“ in Form von Urlaub wählen. Die Diskussion in den Gewerkschaften zielt daher derzeit in die Richtung, dass tarifliche Regelungen eher auf Arbeitsvolumen, Urlaub oder betriebliche Öffnungsklauseln gehen und Betriebsräte zukünftig mehr Gestaltungsmöglichkeiten von Arbeitszeitregelungen wahrnehmen.

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"Kürzer statt flexibler", UZ vom 27. Oktober 2017



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