Ein geläufiges Paradox: Was braucht man, um einen deutschen Kinoerfolg zu machen? Vor allem: Fernseh- und Fördergelder. Ohne wenigstens eines davon erreicht kaum ein deutscher Film überhaupt eine Kinoleinwand. Nützlich sind auch eine Idee oder Story, die aus dem Einerlei der Trends ausbricht, ferner ein dem Zeitgeist angepasstes Thema und am besten noch eine trendige Besetzung mit bekannten Jungstars. Wenn denen, die den Film machen, auch noch interessante oder „exotische“ Drehorte winken – umso besser.
Mit fast all dem können die beiden aktuellen Filme aufwarten, von denen hier die Rede sein soll – und doch wird keiner davon die Kinokassen hörbar klingeln lassen. Man kann es Zufall nennen oder dubioses Marktspiel der Verleiher, dass beide Filme fast gleichzeitig ein ähnliches Thema behandeln, allerdings eines, auf das Interessierte lange warten mussten: „culture clash“, also kulturelle Aneignung am Beispiel Kuba. Problematisch schon die Filmtitel. Der von Bettina Blümners „Vamos a la playa“ weckt ungute Erinnerungen an alberne Strandklamotten à la „Eis am Stiel“ und ist der Ernsthaftigkeit des Films nicht angemessen. Der Titel von Ronald Vietz’ „Ernesto’s Island“ ist noch irreführender, denn besagter Ernesto ist Ernst Thälmann, und der kommt im ganzen Film nur als Denkmaltorso vor.
Bettina Blümners Karriere begann 2007 mit einem Paukenschlag, dem vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ über drei 15-jährige Berlinerinnen. Es folgten die Romanverfilmung „Scherbenpark“ und ein weiterer kluger Dokfilm „Parcours d’amour“ über Tanzbegeisterte reifen Alters in Paris. Doch Blümners Stärke liegt im Gespür für die jüngere Generation, der sie sich nun wieder zuwendet. Der Student Benjamin (Leonard Scheicher) soll seinen auf Kuba abgetauchten Freund Wanja (Jakub Gierszal) suchen, mit einem Foto und reichlich Geld von dessen Vater sowie mit Wanjas Schwester Katharina und deren Freundin im Schlepptau. Ausreichend junges Personal also, um Varianten denkbarer Reaktion auf den Kulturschock durchzuspielen: Katharinas oberflächliche „Ich will Spaß und Sex“-Attitüde und die Gleichgültigkeit ihrer Freundin bedienen gängige Klischees, Wanjas geradezu postkoloniale Haltung zu seinem „Gast“-Land wird fast zur Karikatur. Der ursprüngliche Reiseanlass gerät am Ende ganz aus dem Blick.
So wird Benjamin, eigentlich die interessanteste Figur, beinahe zur Nebenrolle. Blümner, die beim Austauschstudium an Kubas Filmhochschule EICTV Lebensart und Probleme der Kubaner erlebt hat, reflektiert ihre Erfahrungen aus dieser Zeit in einem kleinen, aber brillanten Kabinettstückchen, das fast unterzugehen droht in der generellen Belanglosigkeit der übrigen Szenen: Als Judith in der winzigen Wohnung einer Professorin (!) statt der angebotenen lokalen Spezialität lieber die Tasse bewundert, in der sie kredenzt wird, schenkt die Gastgeberin ihr die Tasse spontan. Erst hinterher erklärt ihr Benjamin die Peinlichkeit: Es gab nur vier Tassen in der Wohnung!
Ob auch Ronald Vietz, der Regisseur von „Ernesto’s Island“, Kubaerfahrungen mitbringt, war leider nicht zu ermitteln; immerhin ist der Studentenaustausch zwischen deutschen Filmschulen und der EICTV recht rege und vielleicht sogar die Erklärung für diese Thema-Doppelung. Gewiss spielten auch Förder- und TV-Gelder eine Rolle dabei und Vietz‘ Film wurde obendrein mittels „crowd funding“, also privaten Spenden, finanziert. Nur mutmaßen kann man, dass auch Hauptdarsteller Max Riemelt unter den „Spendern“ war – es wäre eine Erklärung für dessen Allgegenwart in beinahe jeder Filmszene.
Die Insel des Titels kennen Kubaner als kleines, Ernst Thälmann gewidmetes Eiland vor ihrer Insel. „DDR“ nannte man dieses Geschenk Fidel Castros an die Jugend des befreundeten Landes und just hier, so hat es Matthias (Riemelt) seiner Mutter fest versprochen, soll er nun Mutters Asche ins Meer streuen. Und das, obwohl der Marketingstar in seiner Berliner Firma unabkömmlich ist! Ein Versuch, die ungeliebte Urne in der Spree zu entsorgen, scheitert an Berlins wachsamer Polizei, also macht der gestresste Manager sich mit Sascha, seinem Freund aus Kindertagen in der DDR-Hauptstadt, auf den mit Hindernissen gespickten Kuba-Parcours. Den erzählt der Film sozusagen als dreifachen Riemelt: mit Amateuraufnahmen aus der Familie, der Allgegenwart des TV-Serienstars Riemelt und etlichen Verbalattacken auf das korrupte SED-Regime, die dieser als Ich-Erzähler aus dem Off ablässt. Das passt bestens zum Zeitgeist und Trend und streichelt wohl die Seele des 1984 in Ostberlin geborenen Riemelt, der es ohne Schauspielausbildung längst zum internationalen Star in 74 Rollen und Dutzenden Talkshow-Auftritten gebracht hat. Die Geldgeber sind wohl zufrieden und das Fernsehprogramm gefüllt.
Vamos a la playa
Regie: Bettina Blümner
Unter anderem mit Leonard Scheicher, Victoria Schulz, Maya Unger
Ab 27. April im Kino
Ernesto‘s Island
Regie: Ronald Vietz
Unter anderem mit Max Riemelt, Oliver Bröcker, Marion Duranona, Sarah Schubert
Ab 18. Mai im Kino