Die KPD im antifaschistischen Abwehrkampf – Teil 2

Krisenbewältigung per Notverordnung

Am 30. März 1930 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der Fraktion der Zentrums-Partei im Reichstag, Heinrich Brüning, zum Reichskanzler. Das war Teil der veränderten Strategie des deutschen Großkapitals. Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929 hatte sich das Verhältnis der Monopolherren zur bürgerlichen Weimarer Demokratie geändert. Anstelle der Einbindung der SPD wie im Kabinett Müller zuvor wurde diese nun ausgegrenzt. Anstelle der Billigung von Gesetzen durch den Reichstag wurde mit dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung per Notverordnung „durchregiert“. Brüning erklärte vor dem Reichstag: „Das neue Reichskabinett ist entsprechend des mir vom Herrn Reichspräsidenten erteilten Auftrags an keine Koalition gebunden.“ Das Programm würde unter allen Umständen und auf schnellstem Wege zur Umsetzung kommen. Notfalls würde das Parlament aufgelöst.

Der Artikel 48 der Weimarer Verfassung

Im Juni 1919 nahm die Nationalversammlung die Weimarer Reichsverfassung an. Sie ist in ihrer Widersprüchlichkeit Ausdruck der Ergebnisse der Novemberrevolution: Weitreichende soziale und demokratische Rechte wurden erkämpft, allerdings nicht so konsequent, dass sie gegen die Anschläge des Großkapitals auch verteidigt werden konnten. Das Kapital, die kaiserlichen Generäle, der ganze Staatsapparat waren geblieben. Sie einte das Interesse, die sozialen und demokratischen Rechte wieder rückgängig zu machen. Hinsichtlich der Taktik, wie dieses Ziel erreicht werden sollte, gab es Unterschiede. Zu Beginn der Weimarer Republik setzte sich die Fraktion der „neuen Industrien“ mit ihrer sozialliberalen Integrationsideologie durch. Prägend dafür war die Integration der rechten Führer der SPD und der Gewerkschaften. Friedrich Ebert (SPD) wurde Reichspräsident und versprach in seiner Antrittsrede sogleich, sein Amt als über den Parteien stehend und im „allgemeinen Interesse“ wahrzunehmen. Das schloss die Abwehr gegen linke Kräfte ein. Die Räte der Arbeiter und Soldaten wurden mithilfe der Sozialdemokratie aufgelöst, die Macht den alten Gewalten zurückgegeben.

Ausdruck dieser Integration war die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion zum Artikel 48 der Weimarer Verfassung. Dieser legte im ersten Absatz fest, dass ein Land vom Reichspräsidenten mittels der bewaffneten Macht gezwungen werden konnte, den Anordnungen des Reiches nachzukommen. Im zweiten Absatz hieß es, dass im Falle einer erheblichen Gefährdung oder Störung der öffentlichen Ordnung der Reichspräsident – also nicht das Parlament – befugt war, Artikel der Verfassung außer Kraft zu setzen. Das umfasste die Artikel 114 (Unverletzlichkeit der Freiheit der Person, Zwang zur Begründung von Verhaftungen), 115 (Unverletzlichkeit der Wohnung), 117 (Brief-, Post-, Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis), 118 (Meinungsfreiheit), 123 (Versammlungsfreiheit), 124 (Vereinigungsfreiheit) und 153 (Eigentumsrecht, Zwang zur Entschädigung). Damit war dem Reichspräsidenten die Macht gegeben, ohne Zustimmung des Reichstags die demokratischen Rechte des Volkes abzuschaffen.

Integrationsstrategie

Die Konzeption der „neuen Industrien“ und ihrer politischen Vertreter hat Reinhard Opitz in seiner bei Hans Heinz Holz eingereichten Dissertation über den „Sozialliberalismus“ zusammengefasst. Konnte man, so die im Lager des Großkapitals und seines politischen Personals eifrig diskutierte Frage, die Sozialdemokratie so weit in den kapitalistischen Staat einbinden, dass sie die bürgerliche Demokratie selbst abschaffte?

Das Handeln der regierenden Sozialdemokratie schien diese Frage eindeutig zu bejahen. Ein vorläufiger Höhepunkt war der Blutmai 1929. Seit Dezember 1928 waren in Berlin Demonstrationen durch den Polizeipräsidenten, den SPD-Politiker Karl Zörgiebel, verboten. Die Repressionsversuche richteten sich vor allem gegen die KPD, die gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse kämpfte. 33 Menschen starben in den ersten Maitagen des Jahres 1929 bei Straßenkämpfen, die durch massive Polizeieinsätze ausgelöst wurden. In ihrem Streikaufruf vom 2. Mai schrieb die KPD: „Zörgiebels Blutmai – das ist ein Stück Vorbereitung des imperialistischen Krieges! Das Gemetzel unter der Berliner Arbeiterschaft – das ist das Vorspiel für die imperialistische Massenschlächterei!“

Das Ende der SPD-Regierung

Trotz ihrer Politik im Interesse des Kapitals wuchsen in dessen Kreisen Zweifel an der SPD. Ende der 1920er Jahre stellte eine „große Koalition“ aus Zentrum, DVP, BVP, DDP und SPD die Reichsregierung. Sie war in eine Krise geraten. Die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter erhöhte massiv den Druck auf die Sozialdemokratie. Sie hatte mit ihrer integrativen Funktion noch die Mehrheit im Reichstag für den Young-Plan abgesichert. Mit diesem wurden die letzten Reparationszahlungen des Deutschen Reiches für die Folgen des Ersten Weltkriegs geregelt. 112 Milliarden Reichsmark sollte Deutschland bis 1988 bezahlen. Das Kapital hatte ein besonderes Interesse an diesen Plänen, um selbst aus der Schusslinie zu kommen: Nicht die Krisen des Kapitalismus, sondern die Reparationszahlungen hätten die Wirtschaftskrise verursacht – ein Beginn der Volksgemeinschaftserzählung.

Die SPD hatte ihre Aufgabe erfüllt. Sie hatte den Plänen des Kapitals entsprechend gehandelt und konnte jetzt zusätzlich für das soziale Elend infolge der Krisenabwälzung verantwortlich gemacht werden.

Im März 1930 wurde dies dann umgesetzt. SPD-Reichskanzler Hermann Müller musste unter dem Druck der Gewerkschaften eine Gesetzesvorlage zur Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zurückziehen. Das nahmen die bürgerlichen Parteien zum Anlass, die Regierung platzen zu lassen.

Notverordnungspolitik

Der neue Reichskanzler Brüning übernahm alle bürgerlichen Minister aus dem Kabinett Müller in seine Regierung. Die Krisenverwaltung musste weitergehen aber ohne die druckempfindlicheren SPD-Minister konnte man den Klassenauftrag besser umsetzen. Die Krise sollte überwunden werden, indem sie verschärft auf die Massen abgewälzt wurde. Brünings Sofortprogramm vom April 1930 enthielt die Einführung von Zöllen auf Getreide, Schweinefleisch und Eier, die die Großagrarier gefordert hatten. SPD und KPD votierten dagegen, trotz der Drohung, dies auf dem Verordnungswege durchzusetzen. Mit der Einführung der Zölle stiegen die Verbraucherpreise ins Unermessliche. Kurz darauf wurde die Arbeitslosenunterstützung gekürzt und eine Ledigensteuer eingeführt. Es folgten eine Sondersteuer für Beamte und Staatsangestellte sowie eine „Bürgersteuer“ und die Zigarettensteuer wurde verschärft eingetrieben. Stimmte der Reichstag gegen Gesetzesvorlagen der Regierung Brüning, wurden diese per Notverordnung durchgesetzt. 1930 geschah das fünfmal. 1931 wurden 34 Gesetze vom Reichstag beschlossen, 44 per Notverordnung durchgesetzt. Ein Jahr später waren es 66 Notverordnungen. Bürgerliche Parteien und die SPD im Reichstag leisteten keinen Widerstand gegen diese Politik. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, die Regierung zu stürzen, zumindest hätten sie die Aufhebung der Notverordnungen verlangen können. Stattdessen wurde unter Mithilfe der SPD der Reichstag immer seltener einberufen und immer häufiger vertagt.

Historische Wertung

Häufig wird der KPD vorgeworfen, dass sie diesen Prozess der Formierung bereits als Faschisierung oder gar als etablierten Faschismus deutete und vom Brüning-Faschismus sprach. Dieser Vorwurf ist vom Standpunkt der Faschismusdefinition Georgi Dimitroffs 1935 und der Analysen der 1960er und 1970er Jahre vor allem durch die Kommunistischen Parteien gerechtfertigt. Diese Fehleinschätzung war auf dem VII. Weltkongress und der Brüsseler Konferenz Gegenstand der Selbstkritik der Kommunisten.

Die Kritik ist hingegen ungerechtfertigt und ahistorisch, wenn sie dazu genutzt wird, den Zusammenhang von Kapitalismus und Faschismus zu verschleiern. Bürgerlich-reaktionäre Staatspolitik, die auch von Sozialdemokraten umgesetzt werden kann, kann zur Vorbereitung faschistischer Herrschaft dienen. Reaktionärer Staatsumbau und Faschismus als Herrschaftsperspektive befördern und ergänzen sich gegenseitig. Sie sind beide im Interesse des Monopolkapitals.

Die KPD analysierte den Abbau der Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie auf der Grundlage des Artikels 48, dem die Sozialdemokratie zugestimmt hatte. Dabei ging Sozialabbau per Notverordnung einher mit der Kriminalisierung von Protest gegen die Staats- und Regierungspolitik. Die ideologischen Begründungen dieser Politik durch sozialdemokratische Revisionisten, Sozialliberale oder das Zentrum hatten – als bürgerliche Ideologien – die Vertuschung des Klassengegensatzes gemein. In der praktischen Politik konnte beobachtet werden, wie Gewaltanwendung gegen Arbeiter von Sozialdemokraten durchgeführt und der Staatsumbau von diesen geleitet wurde. Die Faschismusanalysen bis zum Beginn der 1930er Jahre, die vor allem die Lage in Italien, Bulgarien und Ungarn reflektierten, stellten die Übereinstimmungen zwischen bürgerlichen Ideologieformen und entsprechender Politik mit dem Handeln faschistischer Regime heraus.

Richtig war, die Gemeinsamkeit dieser Politik- und Ideologieansätze als bürgerliche zu verstehen. Falsch war indes, deswegen zwischen ihnen mit dem Begriff „Faschismus“ ein Gleichheitszeichen zu setzen. So sehr die erste Position bei Dimitroff aufgehoben war, der den Faschismus als Herrschaft eines Teils des Kapitals und dessen Ideologie als die reaktionärstmögliche bürgerliche beschreibt, so sehr war die zweite ein ideologischer Fehler mit ernsthaften Folgen für die kommunistische Taktik.

Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes
Proklamation des ZK der KPD vom 24. August 1930
Die Regierungsparteien und die Sozialdemokratie haben Hab und Gut, Leben und Existenz des werktätigen deutschen Volkes meistbietend an die Imperialisten des Auslands verkauft. Die sozialdemokratischen Führer, die Hermann Müller, Severing, Grzesinski und Zörgiebel, sind nicht nur die Henkersknechte der deutschen Bourgeoisie, sondern gleichzeitig die freiwilligen Agenten des französischen und polnischen Imperialismus.
Alle Handlungen der verräterischen, korrupten Sozialdemokratie sind fortgesetzter Hoch- und Landesverrat an den Lebensinteressen der arbeitenden Massen Deutschlands.
(…)
Die Nationalsozialisten behaupten, Wirtschaftskrise und Ausplünderung der Massen seien lediglich Folgen des Youngplans; die Überwindung der Krise sei bereits gesichert, wenn Deutschland die Fesseln des Versailler Vertrages abstreift. Das ist ein grober Betrug. Um das deutsche Volk zu befreien, genügt es nicht, die Macht des Auslandskapitals zu brechen, sondern die Herrschaft der eigenen Bourgeoisie im eigenen Lande muss gleichzeitig gestürzt werden. Die Krise wütet nicht nur im Deutschland des Youngplans, sondern auch in den siegreichen imperialistischen Ländern mit Amerika an der Spitze. Überall, wo die Kapitalisten und ihre Agenten, die Sozialdemokraten, am Ruder sind, werden die Massen in der gleichen Weise ausgebeutet. Nur in der Sowjetunion bewegen sich Industrie und Landwirtschaft in aufsteigender Linie. Nur in der Sowjetunion wird die Erwerbslosigkeit beseitigt, werden die Löhne erhöht, werden die sozialpolitischen Errungenschaften der Werktätigen zu beispielloser Höhe ausgebaut. In allen kapitalistischen Ländern, in allen Ländern des Faschismus und der Sozialdemokratie wachsen Elend und Hunger, Lohnabbau und Erwerbslosigkeit, Reaktion und Terror.
Die Kommunistische Partei Deutschlands entfaltet den schärfsten politischen und wehrhaften Massenkampf gegen den nationalverräterischen, antisozialistischen, arbeiterfeindlichen Faschismus.
Wir kämpfen für die Rettung der werktätigen Massen vor der drohenden Katastrophe.
(…)
Wir werden die kapitalistischen Formen der Kommunalwirtschaft vernichten, den großen Hausbesitz entschädigungslos enteignen, die Arbeiter und die arme Bevölkerung der Städte in die Häuser der Reichen einquartieren.
Wir werden die Preise für Mieten, Gas, Wasser, Elektrizität, Verkehrsmittel und alle Kommunalleistungen nach dem Klassenprinzip abstufen und sie für Proletarier und wenig bemittelte Werktätige auf das Mindestmaß herabsetzen.
Wir werden der Steuerpolitik der Bourgeoisie ein Ende machen. Durch Machtergreifung, entschädigungslose Enteignung der Industriebetriebe, der Banken, des großen Hausbesitzes und des Großhandels wird die Arbeiterklasse alle Voraussetzungen für einen Klassenhaushalt des proletarischen Staates schaffen. Wir werden die Sozialversicherung aller Arten (Erwerbslosen-, Invaliden-, Kranken-, Alters-, Unfallversicherung, Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenunterstützung) auf Kosten des Staates unbedingt sicherstellen.

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"Krisenbewältigung per Notverordnung", UZ vom 7. Oktober 2022



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