Irak: Sadr-Bewegung gegen IS und Regierung

Krise in Permanenz

Von Manfred Ziegler

Die „Green Zone“, ein Hochsicherheitsgebiet im Zentrum von Bagdad, wurde von den USA nach der Besetzung des Irak eingerichtet. Hier befinden sich Botschaften, Parlament, Regierung und andere Institutionen. Für die US-Armee war nur die „Green Zone“ sicheres Gebiet, außerhalb war Feindesland. Bis heute hat sich daran nicht viel geändert.

Am 30. April und erneut am 20. Mai stürmten Demonstranten die „Green Zone“. Die erste Besetzung ließen die irakischen Soldaten tatenlos geschehen. Drei Wochen später hatte die Regierung Soldaten vom Kampf gegen den IS abgezogen, um Parlament und Regierung vor den Demonstranten zu schützen. Sicherheitskräfte setzten Tränengas ein, es wurde scharf geschossen. Sie verletzten dutzende Demonstranten und töteten drei. Dennoch konnten viele Teilnehmer vorübergehend in die die „Green Zone“ eindringen.

Die Demonstranten wollten ein Ende der Korruption und der Inaktivität der Regierung, sie wollten Schutz vor Anschlägen und einen effektiven Kampf gegen den IS. Vor allem wollen sie ein Ende des Quotensystems, das mit dem offiziellen Ende der US-Besetzung eingeführt wurde. Es knüpft die Aufteilung von Regierungsposten an religiöse oder ethnische Zugehörigkeit.

Unmittelbarer Auslöser der Proteste war der Unwille des Parlaments, unabhängige Fachleute als Minister zu bestellen. Eine „technokratische“ Regierung sollte eigentlich helfen, das Netzwerk der Parteipfründe aufzulösen und das Ausmaß der Korruption zu verringern. Am 30. April vertagte sich das Parlament ohne Entscheidung, kurz danach erfolgte die Besetzung des Parlaments. Dass es gelang, die massiven Schutzwälle und Kontrollen der „Green Zone“ zu überwinden zeigt den Einfluss und die Organisationsfähigkeit dieser Bewegung.

Getragen wurden die Proteste von der Sadr-Bewegung. Muktada al-Sadr ist ein irakischer schiitischer Geistlicher und Politiker, der nach der Besetzung des Irak Milizen zum Widerstand gegen die USA organisierte. Zugleich gewann er Einfluss durch seine politische Arbeit. Art und Umfang seiner Tätigkeit wechselten über die Jahre. Er formulierte eine Politik, die versuchte, eine irakische Identität jenseits von Glaubensrichtungen und ethnischer Zugehörigkeit zu bilden. Die im Ursprung schiitische Sadr-Bewegung sprach auch Sunniten und Angehörige von Minderheiten zur Zusammenarbeit an. Typisch hierfür ist, dass die Demonstranten ausschließlich irakische Flaggen mit sich trugen.

Wegen dieser antisektiererischen Politik führt der IS Anschläge gezielt im Einflussbereich der Sadr-Bewegung durch. So übernahm er beispielsweise die Verantwortung für einen verheerenden Anschlag am 12. Mai auf einen belebten Marktplatz in Sadr-City, einem Stadtteil von Bagdad. 64 Menschen wurden dabei getötet, 87 verletzt. Dieser Anschlag war Teil einer ganzen Anschlagsserie mit hunderten Toten und mit ein Grund für die Demonstranten, erneut in die „Green-Zone“ einzudringen.

Die aktuelle Offensive der irakischen Armee gegen Falludscha – nur rund 60 km von Bagdad entfernt – ist eine Reaktion auf die schlechte Sicherheitslage: Viele der Anschläge in Bagdad werden offenbar in Falludscha organisiert, das nach wie vor vom IS besetzt ist. Die Offensive auf Falludscha ist aber auch ein Ersatz: Ein Angriff auf den IS in Mossul, den Militärberater der USA vorziehen würden, ist zurzeit nicht möglich. Die irakische Armee ist nicht in der Lage, ihre Einheiten mit dem nötigsten Material zu versorgen. Inkompetenz und Korruption tragen das ihre dazu bei.

Seit der Besetzung des Irak durch die USA ist die Elektrizitäts- und Wasserversorgung nicht mehr in der Lage, den Bedarf zu decken. Seit Monaten verhindern die politischen Blöcke Kabinettsumbildung und Reformen. Auch dies ist ein Ergebnis der Aufteilung der staatlichen Funktionen nach ethnischen und religiösen Gruppen, wie sie die USA eingeführt haben und bis heute fördern.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Krise in Permanenz", UZ vom 10. Juni 2016



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Stern.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit