UZ: Wie kam es dazu, dass ein linker, wissenschaftlicher Verlag wie Argument sich eine Frauenkrimireihe zulegte?
Else Laudan: 1987 gründete Frigga Haug die Frauenkrimireihe Ariadne als Reaktion auf die ersten feministischen Krimis aus England und den USA. Mit Ariadne haben wir, wir sind ja ein linker feministischer Verlag, gleich ein politisches Kulturprojekt gestartet. Überall im deutschsprachigen Raum entdeckten Frauen, die eigentlich immer schon gern Krimis lasen, dass es das Nonplusultra ist, wenn jetzt Frauen Krimis bevölkern. Das hat wahnsinnig Spaß gemacht, es war unglaublich ansteckend und ein Mega-Erfolgsprojekt mit Tonnen von begeisterter Leserinnenpost. Es hat Jahre gedauert, bis die Konzernverlage nachzogen und auch Frauenkrimireihen starteten – das brachte uns zwar wirtschaftlich in die Klemme, befriedigte uns andererseits aber kulturell sehr: Es war der endgültige Beleg, dass wir tatsächlich was verändert hatten.
UZ: Ariadne hat den Frauenkrimi in Deutschland populär gemacht.
Laudan: Ja, wir waren damit für einen kleinen Verlag utopisch erfolgreich. Noch ehe die Großen nachzogen, waren Frauen im Genre als Selbstverständlichkeit angekommen. Das hat auch in andere Medien durchgeschlagen, Fernsehen, Film usw. Heute erinnert sich kaum noch jemand, dass es selbstbewusst weibliches Personal im Krimi bis Ende der 80er nicht gab. Der Massen-Erfolg war ein Triumph, weil das Publikum uns recht gab. Trotzdem mussten wir uns neu orientieren, als alle auf den Zug aufsprangen. Das Markenzeichen der Reihe, von Frauen geschrieben und mit weiblichen Hauptfiguren, war ja nun keine Besonderheit mehr. Wir haben dann das Ariadne-Programm stark verschmälert und krass zugespitzt. Zunächst haben wir vor allem mit deutschen Autorinnen gearbeitet. Ich finde, dass das deutschsprachige Genre der Entwicklung oft unglaublich hinterherhinkt, an Brisanz, politischer Sprengkraft und an stilistischer Finesse. Gegen diesen Einheitsbrei wollten wir anarbeiten. Und da es uns ökonomisch schlecht ging, war es auch gut, keine Übersetzungskosten zu haben – wir brauchten nur viel Kompetenz und Geduld. Mit der Zeit haben wir großartige Autorinnen aufgebaut, und seit 2015 gibt es mit HerLand endlich auch ein Netzwerk feministischer Krimiautorinnen hierzulande.
UZ: Jetzt machen Sie aber wieder ein internationales Programm.
Laudan: Sobald es uns besser ging, haben wir wieder ausgewählte internationale Krimiautorinnen dazugeholt, unter der Überschrift „Krimis als Fenster zur Welt“. So betrachten wir in dieser sezierenden kriminalliterarischen Weise unsere eigene Gesellschaft, unterhaltsam und klar gesellschaftskritisch. Und dann werfen wir Blicke über den Tellerrand und gucken, was passiert eigentlich anderswo auf dieser Erdkugel? Kriminalliteratur ist ideal, um zu zeigen, wie andere Kulturen funktionieren und was in den Gesellschaften für Brüche verlaufen. Ein Riesenerfolg war 2011 „Letzte Schicht“ von Dominique Manotti. Das Buch zeigt, was im Genre an kompromissloser Gesellschaftskritik möglich ist. Zudem ist es ein Wirtschaftskrimi. Wirtschaftskrimis von Frauen und von links sind noch was Seltenes. Wir hatten erst gedacht, dieses Buch, von dem wir glühend überzeugt waren und es daher unbedingt machen mussten, würde nicht laufen. Wer sollte so was lesen wollen? Aber dann wurde die große Krise hier richtig spürbar, und als die Manotti erschien, ging ein Ruck durch das Krimipublikum, nach dem Motto: Ah ja! Das Genre, das uns die Wahrheit darüber erzählt, wie Geld und Verbrechen zusammenhängen!
UZ: Gesellschaftskritische Romane sind zur Zeit eine Seltenheit. Sind Krimis die bessere Literatur, wenn es darum geht, gesellschaftliche Verhältnisse aufzuzeigen?
Laudan: Ja, Krimis sind die zeitgemäße sozialkritische Literatur. Zur Fußball-WM in Südafrika kamen hier viele Krimis von dort an. Das Erzählen von Gesellschaft im Umbruch ist ja eine der großen Stärken des Genres, und in Südafrika entstehen seit dem Ende der Apartheid tolle Krimis und Noirs. Von Malla Nunn (der einzigen nichtweißen Autorin) brachte Aufbau zwei Romane und ließ sie dann fallen, da bin ich reingesprungen, jetzt erscheint sie bei uns. Ich liebe ihre elegante Sprache und die leuchtenden Figuren: Ein Dreigestirn an Ermittlern schafft es mitten in der Apartheid, die Wahrheit ans Licht zu zerren.
UZ: Für Malla Nunn bin ich sehr dankbar, da sie die Anfangszeit der Apartheid beschreibt.
Laudan: Ja, das spielt 1952, die Apartheid ist noch ganz jung und schüttelt sich gerade erst zurecht. Die Art, wie damals die Zustimmung in der Bevölkerung organisiert wurde, erinnert unangenehm sowohl an die NS-Zeit als auch an heutige rechtspopulistischen Maßnahmen. Es ist unheimlich interessant, solche Literatur zu haben, die wirklich genau in die Konflikte reinguckt. Aus Dominique Manottis Kapitalismuskritik, Liza Codys subversiven Romanen und Malla Nunns historischen Krimis entstand ein internationaler Polit-Schwerpunkt, den ich begeistert weiterverfolge. Und es ist Ariadne, also ausschließlich von Frauen geschrieben, dadurch kommt die ganze Welt darin vor, nicht nur die (noch) übliche halbe.
UZ: Jetzt haben Sie den Blick durch das „Fenster zur Welt“ auch nach Indien geöffnet
Laudan: Ja, durch die indische Autorin Anita Nair und ihr Buch „Gewaltkette“. Da geht es um Bangalore, das Silicon Valley von Indien, der absolute Wirtschaftsstandort für Startups, Technologie usw. – und gleichzeitig die Hauptdrehscheibe Indiens für Mädchen- und Kinderhandel. Das hat Anita Nair auf ganz starke Art in einen Kriminalroman verwandelt. Sie schafft es, die Krassheit der Verhältnisse anschaulich zu zeigen, ohne je voyeuristisch zu werden. In der Kriminalliteratur brauchen die Erzählerinnen ein sehr bewusstes Verhältnis zu der Art, wie sie Gewalt darstellen. Seit Tarantino gibt es im Mainstream einen Hype für immer mehr Gemetzel und Blut, das ist uns nicht sympathisch. Aber wir wollen auch nicht, dass Gewalt verschwiegen wird oder beschönigt oder ausgeklammert. Denn es geht ja um die Frage, wie Unrecht und Gewalt die Welt prägen und woher das kommt. Wer Täter, wer Opfer, wer beides ist. Und da ist „Gewaltkette“ ein wahnsinnig beeindruckendes Buch, weil es multiperspektivisch erzählt von Personen, die der Gewalt ausgesetzt sind, Personen, die ihr ausgesetzt waren und sie weiterreichen, und Personen, die sich dagegenstemmen. Und die ganze Zeit wird die Gesellschaft scharf beleuchtet, sodass man wirklich das Gefühl hat, dort zu sein, zu riechen, zu schmecken, zu hören, wie es da zugeht. Ein ungeheuer intensiver Blick auf Bangalore, wo alles aufeinander trifft: moderner Erfolg, modernes Verbrechen und ganz viele widersprüchliche Verhältnisse, Korruption natürlich, organisierte Kriminalität, aber eben auch organisierter Kapitalismus in einer sich völlig sauber dünkenden Form. Nair zeigt das alles, ohne je wegzugucken, aber mit viel Respekt und Zuneigung den Menschen gegenüber, sodass es nicht nur deprimiert.
UZ: Können Sie ein bisschen was über Ariadnes ökonomischen Bedingungen sagen?
Laudan: Also, wie alle unabhängigen Verlage kämpfen wir hart um unsere Existenz, und es geht nur mit viel Selbstausbeutung. Für einen linken feministischen Verlag gilt das noch mal verschärft. Zum Glück haben wir sehr, sehr viel Erfahrung damit, in dieser semiprekären Weise gute Bücher zu machen. Und das wiederum macht uns ein bisschen standfest. Das heißt, wir haben gelernt, inhaltlich keine Kompromisse zu machen, aber strategisch geschmeidig zu sein. Die Veränderung in der Literaturkritik zugunsten des Krimis hat uns geholfen. Wir sind ein Non-Profit-Verlag und können nicht werben, aber Ariadne hat einen guten Ruf und macht gute Bücher. Ungeachtet des Geschlechts würdigen das auch die Feuilletons, legen uns manchmal oben auf den Stapel und bringen richtig gute Rezensionen. Wir hatten immer und haben natürlich auch jetzt große Probleme mit der andauernden Strukturkrise rund ums Medium Buch. Der Buchhandel ist in den Knien, allem voran durch die Branchenkonzentration, aber auch durch tradierte Strukturen, die nicht ganz kompatibel sind mit den neuen Medien. Da ist viel Stabilität verlorengegangen. Also, eine neue Manotti wird gut bestellt, aber um gute Literatur zu machen, muss man auch Risiken eingehen, und neue Namen bedeuten, wir bleiben erst mal auf den Büchern sitzen. In seiner Bedrängnis setzt der bürgerliche Buchhandel oft lieber auf Bestsellerlisten und sieht nicht, dass das genau das ist, was ihn überflüssig macht.
UZ: Auch viele inhabergeführte Buchhandlungen setzen auf den Mainstream und orientieren sich an den großen Ketten.
Laudan: Aber es gibt auch Buchläden, die versuchen Gegenmodelle, spezialisieren sich auf Themen, Genres oder auf Indie-Verlage, und mit denen kann man ganz toll zusammenarbeiten und Kultur machen. Das nimmt sogar ein bisschen zu, aber ist natürlich nur ein Bruchteil im Verhältnis zum wegbrechenden Gros. Seit 1989 bin ich für das Programm hier im Verlag verantwortlich, ich habe also schon in den 90ern das Sterben der Frauenbuchläden erlebt. Das heißt, es ist nicht die erste Buchhandelskrise, die ich mitmache. Ja klar, wir haben große Sorgen, immer wieder, wir sind furchtbar davon abhängig, dass wir irgendwie unsere Neuerscheinungen vernünftig platziert kriegen.
UZ: Vielen Dank für die offenen Worte. Möchten Sie noch was loswerden?
Laudan: Ich habe momentan ein ganz konkretes Problem. Unsere österreichische Auslieferung ist pleitegegangen. Böses Timing, denn wir haben gerade zwei neue Krimis von österreichischen Autorinnen: Anne Goldmann und Gudrun Lerchbaum. Wir werden das lösen, denn glücklicherweise ist Prolit, unsere deutsche Auslieferung, unglaublich kompetent, und in solchen Krisenzeiten ziehen die immer irgendeinen guten Plan aus der Tasche. Sie beliefern Österreich jetzt einfach direkt. Und das ist sehr wichtig, denn beides sind relevante Bücher auf der Höhe der Zeit! Mit Anne Goldmann arbeite ich schon seit vielen Jahren zusammen, sie bereichert das Genre um eine ganz eigene, sehr literarische und seltsam entschleunigte, mordsspannende Spielart. Ihr aktuelles Buch „Das größere Verbrechen“ thematisiert Gewalttraumata. Und Gudrun Lerchbaum hat vor zwei Jahren einen politischen Thriller bei Pendragon veröffentlicht, jetzt kommt sie bei uns mit einem hochaktuellen Krimi „Wo Rauch ist“, mit ganz starken, innovativen Figuren, die es so noch nirgends gibt. Und wenn wir das gut hinkriegen, gehen diese Figuren vielleicht in Serie.
UZ: Vielen Dank für das Gespräch.