War es eine Vorahnung des kommenden Krieges oder nur die Darstellung seiner Vision des „Neuen Nahen Ostens“? Netanjahu zeigte vor der UN-Vollversammlung am 22. September letzten Jahres eine Karte von Israel, die Gaza und die Westbank umfasste. Für Palästina war auf dieser Karte kein Raum mehr. Mit dem Krieg seit dem 7. Oktober hat sich das geändert.
Die Hamas formulierte zunächst keine eindeutigen Kriegsziele. Das Überschreiten „Roter Linien“, israelische Angriffe auf die Palästinenser in Jerusalem und Übergriffe auf die Al-Aksa-Moschee wurden genannt. In den Medien hieß es, das Ziel sei ein Gefangenenaustausch. Das stand dann in den ersten Wochen im Vordergrund und wurde für die meisten Zivilisten, die in Gaza festgehalten wurden, erfolgreich durchgeführt. Das Ziel, das Hamas schließlich nannte, war ein Austausch „Alle für alle“. Die etwas mehr als 100 Israelis – mittlerweile überwiegend Soldaten – in Gefangenschaft in Gaza sollen gegen alle palästinensischen Gefangenen in israelischer Hast ausgetauscht werden. Nach einer Verhaftungswelle auf der Westbank, nach Geiselnahmen durch israelisches Militär und Polizei sind das inzwischen mehr als 11.000.
Für die Hamas war der Angriff auf Israel eine Antwort auf die Versuche, Palästina verschwinden zu lassen und durch den verstärkten Siedlungsbau den Aufbau eines palästinensischen Staates unmöglich zu machen. Gaza sei 17 Jahre lang einer erdrückenden Belagerung ausgesetzt gewesen und ein großes Gefängnis.
Mittlerweile gibt es wieder Bemühungen um einen Waffenstillstand. Vertreter von Katar, der CIA und des Mossad sowie Vertreter Ägyptens trafen sich in Paris, um die Differenzen über einen Deal zu überwinden. Es geht dabei vor allem um die Dauer eines möglichen Waffenstillstands. Israel bietet eine zweimonatige Feuerpause an – Hamas fordert eine endgültige Waffenruhe und den Zugang zu Hilfsgütern für Gaza vor den Verhandlungen über einen Austausch der Gefangenen. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ blieben die Gespräche ergebnislos.
Mit Beginn des Krieges formulierte Israels Regierung zwei offizielle Ziele: Zerstörung der Hamas und Befreiung der Geiseln. Von beiden Zielen ist das israelische Militär weit entfernt. Stattdessen zerstört es Gaza in einem Maße, dass Leben dort kaum mehr möglich ist. Wohl in der Hoffnung, die Palästinenser würden am Ende doch noch den Gazastreifen räumen und den ersten Teil von Netanjahus Vision verwirklichen. Mittlerweile hält der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag in einer vorläufigen Beurteilung den Vorwurf des „Genozids“ durch Israel an den Palästinensern für plausibel und Hamas fordert die Umsetzung der Vorgaben des Gerichts.
Nicht nur in Gaza, auch im Norden Israels und in der Region wird der Krieg indessen mit unverminderter Härte fortgesetzt. Auch wenn weder Hamas noch Hisbollah diesen Krieg als unmittelbar entscheidend für die Zukunft Palästinas ansehen, betrachten sie ihn doch als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einem Ende von Besatzung und Apartheid.
Mit der zunehmenden Ausweitung des Krieges wird es eine Rückkehr zum früheren Status Quo kaum geben können.