Syrische Regierung hat kein Interesse am Einsatz von Chemiewaffen

Kriegsvorwand

Von Manfred Ziegler

Chemiewaffen in Syrien

Im Juli 2012 gab der damalige Sprecher des syrischen Außenministeriums, Jihad Makdissi, eine Pressekonferenz, in der er über chemische Kampfstoffe Syriens sprechen sollte. Er sollte deren tatsächliche Existenz im Unklaren lassen und hat – buchstäblich im ersten Satz – seinen Auftrag gründlich vermasselt. Dieser Fauxpas hatte weitreichende Folgen. US-Präsident Obama sprach von einer „Roten Linie“, die nicht überschritten werden dürfe, ein Jahr später war eine Kommission internationaler Experten für chemische Kampfstoffe in Damaskus – Makdissi selbst verließ das Land und schloss sich der „Moskauer Opposition“ an.

Und genau zu der Zeit, als die internationalen Experten in Damaskus ihre Arbeit aufnahmen, gab es den Giftgasangriff von Ghouta, einem Ort im Gouvernement Damaskus. Die Zahl der Opfer steht nicht fest, genannt werden Zahlen von 280 aber auch 1730 Todesopfern. Muss man erwähnen, dass die syrische Regierung wie immer und ohne jede Untersuchung durch NATO und Golfstaaten zum Schuldigen erklärt wurde? Heute kann der Vorwurf als widerlegt gelten, nicht zuletzt dank einer umfangreichen Analyse, die Seymour Hersh im Dezember 2013 veröffentlichte. Doch der Angriff konnte zum Vorwand gemacht werden – das US-Militär sollte unmittelbar in den Krieg gegen Syrien eingreifen.

Die russische Regierung fand einen Kompromiss. Der direkte Krieg der USA gegen Syrien wurde aufgeschoben, die chemischen Waffen Syriens wurden unter internationaler Kontrolle vernichtet und am 4. Januar 2016 bestätigte die Organisation für das Verbot chemischer Waffen, dass die Vernichtung aller von Syrien deklarierten Chemiewaffen abgeschlossen sei.

Nicht abgeschlossen waren die Vorwürfe, die syrische Armee setze chemische Kampfstoffe ein – obwohl diese vernichtet wurden. Doch IS und al-Nusra arbeiteten an der Herstellung chemischer Waffen und setzten sie auch ein. Selbst US-Geheimdienste waren sich bewusst, dass al-Nusra möglicherweise Zugang zu Sarin hatte.

2014 gab es Berichte über den Einsatz von chemischen Waffen durch den IS gegen Kurden. 2016 berichtete die Deutsche Welle über einen Chemiewaffenangriff der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Norden Syriens und im März dieses Jahres gab es einen Giftgasangriff des IS in Mossul.

Zuvor schon berichtete eine Untersuchungskommission des irakischen Parlaments, der IS arbeite sehr ernsthaft daran, chemische Kampfstoffe produzieren zu können.

Am 7. April sprach die Vertreterin der USA im UN-Sicherheitsrat, Nikki Haley über Massenvernichtungswaffen in Syrien. Die syrische Armee habe in der Provinz Idlib chemische Kampfstoffe eingesetzt, unter den zivilen Opfern seien viele Kinder und die Regierung müsse dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Es war der Botschafter Boliviens bei den UN, der mit einem Satz die Blase zum Platzen brachte: „Wir müssen uns unbedingt an die Bilder erinnern, als der damalige Außenminister der USA Colin ­Powell am 5. Februar 2003 in diesem Raum erzählte, der Irak verfüge mit Sicherheit über Massenvernichtungswaffen.“

Was 2003 für manchen überzeugend schien, erwies sich als Lüge. Der Krieg, unzählige Tote, der Zerfall eines Landes, einer Region waren die Folge. Auch der jetzige US-Angriff auf den Militärflughafen bei Homs basiert auf einer Lüge (Siehe Kasten).

Für die syrische Regierung hätte es überhaupt keinen Grund gegeben, chemische Kampfstoffe einzusetzen. Nach der Befreiung Aleppos und Palmyras und dank der Unterstützung durch die russische Luftwaffe sind die Positionen der syrischen Armee gesichert. Weitere lokale Waffenstillstandsvereinbarungen werden unterzeichnet (bisher: 1446). Selbst die große Offensive der Dschihadisten in Hama kommt nicht voran. Umgekehrt gelingt es der syrischen Armee auch in Deir Ezzor, ihre Positionen zu verbessern. Warum also sollte sie in Idlib chemische Waffen einsetzen?

Westliche Medien und Politiker flüchten sich – wie seit Jahren – in die Behauptung, „Assad bekämpfe sein eigenes Volk“. Doch in Wirklichkeit haben nur die Terroristen ein Interesse daran, chemische Kampfstoffe einzusetzen. Sie bieten damit den USA und ihren Verbündeten den Vorwand, direkt in den Krieg gegen Syrien einzugreifen – mit Erfolg.

Sowohl der Angriff der israelischen Luftwaffe auf die syrische Armee in Palmyra als auch der US-Angriff auf den Stützpunkt in Homs sollten die syrische Armee schwächen. Und der Angriff der USA führte unmittelbar zu verstärkten Angriffen der Dschihadisten, die die Situation ausnutzen wollten.

Ob Trump oder Clinton – nach wie vor sind Syrien, Hisbollah und der Iran die Feinde, die es zu schwächen gilt und deren Sieg die USA und ihre Verbündeten verhindern wollen.

Die Vertreterin der USA im UN-Sicherheitsrat, Nikki Haley, machte das deutlich, als sie in einem Interview mit CNN davon sprach, Assads Absetzung sei eine Priorität der USA. „Wir sehen kein friedliches Syrien mit Assad“. Dass der Angriff zugleich eine erneute Provokation gegenüber der Russischen Föderation war und eine mögliche Verständigung damit ausgeschlossen erscheint, wird vom größten Teil des Establishments gerne gesehen. Trump verschärft die Konfrontation und droht wegen Syrien mit neuen Sanktionen gegen den Iran und Russland.

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"Kriegsvorwand", UZ vom 14. April 2017



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