Neue „Verteidigungspolitische Richtlinien“ orientieren auf Krieg mit Russland. Berlin hofft auf Machtzuwachs

„Kriegstüchtigkeit“ als Handlungsmaxime

Die Bundeswehr sei ein „Kerninstrument“ der deutschen Sicherheitspolitik, heißt es in den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“. Statt auf Diplomatie setzt die Bundesregierung demnach auf „umfassende militärische Vorbereitung bereits im Frieden“. Sie erhebt den „Anspruch gesicherter militärischer Handlungsfähigkeit“ und erklärt „Kriegstüchtigkeit“ zur übergeordneten „Handlungsmaxime“. „Im Zentrum aller Initiativen und Maßnahmen“ müsse das Ziel stehen, „die Einsatzfähigkeit“ der deutschen Armee „insgesamt weiter zu erhöhen“, heißt es in dem Papier; man benötige eine „voll ausgestattete sowie dauerhaft und jederzeit einsatz- und kampfbereite Bundeswehr“. Maßstab sei „die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht“. Dazu will Berlin die Infrastruktur der Bundeswehr „beschleunigt“ modernisieren und „ausbauen“, „Produktions- und Lagerkapazitäten bei Beschaffung von Waffensystemen, Ausrüstung, Verpflegung, Munition und Betriebsstoffen“ steigern sowie eine „starke nationale und europäische Rüstungsindustrie“ aufbauen. Die „zentrale Herausforderung“ sieht das Verteidigungsministerium darin, ausreichend Soldaten zu finden. Um die gewünschte Steigerung der militärischen Schlagkraft erreichen zu können, kündigt das Ministerium eine dauerhafte Erhöhung des Wehretats auf „mindestens“ (!) 2 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung an.

Im Zuge des Fähigkeitsaufbaus will Berlin die Bundeswehr noch weiter auf die sogenannte Landes- und Bündnisverteidigung ausrichten, die sie in den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ zum „Kernauftrag“ der Bundeswehr erklärt. Die sich daraus ergebenden Anforderungen an das Militär seien „strukturbestimmend“. Die bisherige Ausrichtung der Bundeswehr auch auf „weltweite Einsätze zum internationalen Krisenmanagement“ müsse „umgekehrt“ werden, wenngleich Militärinterventionen in Deutschlands „unmittelbarem Sicherheitsumfeld in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten, in der Arktis sowie im Indopazifik“ „weiterhin unverzichtbar“ seien. Der Ukraine-Krieg zeige, dass die Bundesrepublik ihr militärisches Potenzial „am Szenario des Kampfes gegen einen mindestens ebenbürtigen Gegner ausrichten“ müsse; gemeint ist Russland. Mit den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ legt Berlin seinen sicherheitspolitischen Fokus ausdrücklich „auf die Sicherheit vor der Russischen Föderation“. Das Papier diagnostiziert eine „unmittelbare Bedrohung für die Souveränität und territoriale Integrität Deutschlands“. Der „euroatlantische Raum“ müsse deshalb der „klare Schwerpunkt“ der „Kräftebindung“ der Bundeswehr sein. Zur „Auseinandersetzung“ mit Russland heißt es im Grundsatzdokument der deutschen Sicherheitspolitik: „Wir wollen … nicht nur gewinnen, sondern wir müssen“. Dem Sieg über Russland seien „alle weiteren Aufträge und Aufgaben … nachgeordnet“.

Mit den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ knüpft das Verteidigungsministerium an die im Sommer veröffentlichte „Nationale Sicherheitsstrategie“ an und ersetzt nach eigenen Angaben das Weißbuch zur Sicherheitspolitik von 2016 und die Konzeption der Bundeswehr von 2018. Die grundsätzlichen strategischen Überlegungen der „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ will das Ministerium in einem nächsten Schritt konkret in Waffen, Struktur und Personal der Bundeswehr umsetzen. Dazu kündigt es eine Aktualisierung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr von 2018 sowie erstmalig eine Militärstrategie an. Die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ stellen dabei zwar eine Eskalation, aber keineswegs eine Wende in der deutschen Außen- und Militärpolitik dar.

Seine Aufrüstung betreibt Berlin seit der 2014 erfolgten Schwerpunktverschiebung hin zur „Landes- und Bündnisverteidigung“ zunehmend im Rahmen der NATO-Vorgaben. Mit der „Erfüllung der Deutschland zugewiesenen NATO-Fähigkeitsziele“, die die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ beschwören, trägt die Bundeswehr allerdings erklärtermaßen auch zur „langfristigen nationalen Fähigkeitsentwicklung“ und damit zum militärischen Erstarken Deutschlands bei. Dementsprechend tritt die Bundesrepublik ihren Verbündeten in Europa und den USA in dem Papier mit einem neuen Selbstbewusstsein gegenüber: Sie meldet „Führungswillen“ an, sieht sich in einer „Führungsverantwortung“ und erhebt nicht nur innerhalb der EU, sondern auch für die NATO Anspruch auf eine „gestaltende Rolle“. Die Bundeswehr solle „rasch“ eine „der leistungsfähigsten Streitkräfte in Europa“ werden, um nicht nur „militärischer Anlehnungspartner in Europa“, sondern sogar „Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung“ Europas zu werden, heißt es in den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“. Mit dem Dokument erklärt Berlin den erwähnten machtpolitischen Kurs zur Grundlage seiner Sicherheitspolitik, dies in vollem Bewusstsein, dass daraus für Deutschland „in besonderem Maße eine Bedrohung“ erwachse – „auch militärisch“.

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"„Kriegstüchtigkeit“ als Handlungsmaxime", UZ vom 17. November 2023



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