„Der beste Weg, Antisemitismus in der Bundeswehr zu bekämpfen, ist, präsent zu sein und zu zeigen, dass wir jüdischen Bürger auch da sind, um das Land zu schützen.“ Sagt Zsolt Balla, ungarischstämmiger orthodoxer Rabbiner und Leiter der jüdischen Gemeinde in Leipzig.
Das letzte Mal, dass deutschen Juden schmerzhaft klar wurde, dass zwar der Verrat am Frieden, nicht aber dessen Verräter geliebt werden, war, als ihre Verweise auf Heldenmut im Ersten Weltkrieg sie nicht vor dem Transport in die Vernichtungslager schützen konnten. Herrn Ballas Mutter ist Shoah-Überlebende, er hätte sie danach fragen können. Natürlich ging es immer ausweislich um Schutz gegen einfallende Horden. Militärseelsorger sprachen dabei nicht etwa Warnungen vor deutschen Angriffskriegen aus, sondern es wurde im Ersten Weltkrieg das Land schon genauso gegen fremdländische Soldaten geschützt, die unerklärlicherweise nach Deutschland kamen, wie es dann noch einmal im Zweiten Weltkrieg geschah – dann bereits ohne jüdische Hilfe beim Schutz der Deutschen. Auch zum Ende des nächsten Krieges werden fremde Soldaten aus Ländern kommen, die man zuvor überfallen hatte, und wieder wird man sich nicht erklären können, wie solches Unrecht einfach so geschehen kann. Meist verübt durch Russen.
Dass nach hundert Jahren wieder Rabbiner in deutschem Militär Dienst tun – was zum Beispiel meint, ihre christlichen Kollegen bei Auslandseinsätzen zu begleiten –, geht auf einen Ende 2019 vereinbarten „Staatsvertrag über die jüdische Militärseelsorge“ mit dem Zentralrat der Juden zurück. Im Mai 2020 hatte der Bundestag dann in seltener Einmütigkeit ohne Gegenstimmen ratifiziert, dass es in der Bundeswehr ein Militärrabbinat geben solle; mit perspektivisch bis zu zehn Rabbinern, die neben der orthodoxen grundsätzlich auch „liberalen“ Traditionen des Judentums entstammen können.
Am vergangenen Montag trat nun mit Zsolt Balla der erste Militärbundesrabbiner seinen Dienst an. Ihm ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass es zwar „noch komisch ist für eine jüdische Person, in der Bundeswehr zu dienen“, aber man könne andererseits auch sehen, dass sich die Welt geändert habe.
Das wird wohl nicht für alle Bundeswehrangehörigen gelten, legt man einer Überprüfung der Weltänderung die faschistischen Tendenzen in einzelnen Einheiten bis zum „Kommando Spezialkräfte“ zugrunde. Und ohnehin ist nicht gesagt, dass es in der Bundeswehr heute weniger Antisemitismus gibt, als es vor achtzig Jahren in der Wehrmacht der Fall war. Entscheidend für die Wahrscheinlichkeit von Verbrechen durch bewaffnete Personen ist vielmehr das Vorhandensein einer Befehlsstruktur und wer darin das Sagen hat – weit mehr als der „Lebenskundlicher Unterricht“ genannte Versuch einer Gewissensbildung der Soldatinnen und Soldaten. Die soldatische Gewissensbildung soll hierbei durch „die Religionsgemeinschaften“ geleistet werden. Hört sich womöglich für Menschen, die neben Gott auch an selbst- und interesselose Kriegseinsätze glauben, gut an, praktiziert sich in jedem Fall aber äußerst schlecht: Erstens findet dieser Unterricht wegen Überlastung kaum statt, zweitens gibt es keinen Ethikunterricht durch staatliche Stellen und damit also kein Angebot für Agnostiker oder Atheisten, und drittens wird eine mit gut dreitausend Bundeswehrangehörigen gegenüber ein paar Dutzend jüdischen Soldatinnen und Soldaten zahlenmäßig nicht unbeträchtliche Religionsgemeinschaft komplett außen vor gelassen: Der Islam. Unter den Militärseelsorgern befindet sich nämlich kein Imam; es heißt, dass es eben keinen Ansprechpartner unter den muslimischen Verbänden gebe.
Was interessiert uns das alles? Am Ende geht es bei der Einsetzung von Rabbinern in der Bundeswehr nach einem Jahrhundert um die viel beschworene „Normalisierung“ – aber nicht um die der Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Deutschland und auch in seinen Institutionen. Sondern um die in immer wieder neuen Formen auftauchende Segnung der Bombe.