Trotz Querschlägern: An deutschen Redaktionsschreibtischen wird der Krieg herbeigeschrieben

Kriegshetze

Noch sind es nur einzelne Stimmen, die gegen die deutsche Kriegspresse halten. So veröffentlichte der Hallenser Politikwissenschaftler Johannes Varwick am 17. Januar einen Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen“ (FAZ) unter der Überschrift: „Der Westen muss Russland eine Brücke bauen.“ Das trug ihm empörte Leserbriefe zweier Bundeswehrgeneräle, aber auch den zustimmenden eines Friedensaktivisten ein. Am 18. Januar, dem Tag des Moskau-Aufenthalts der deutschen Außenministerin, erklärte Klaus von Dohnanyi (SPD) im „Mitteldeutschen Rundfunk“ Entspannung, die man aber planen müsse, zu Baerbocks „Aufgabe“. Im Sender „Phoenix“ kritisierte drei Tage später der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck (SPD): Der Westen gestehe gewohnheitsmäßig Russland keine eigenen Interessen zu: „Wir im Westen waren nachlässig bis arrogant.“ Sanktionsdrohungen führten nur dazu, dass Russland näher an China rücke. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ veröffentlichte ein Interview mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder unter der Schlagzeile: „Russland ist kein Feind Europas“.

Da hatte sich Marineinspekteur Kay-Achim Schönbach bei einer Vortragsveranstaltung am 21. Januar in Neu-Delhi um sein Amt geredet. Das Ungeheuerliche: Er forderte „Respekt“ für Putin und nannte die von Brüssel über Berlin bis Kiew gepflegte Propaganda, der russische Präsident werde für „einen kleinen Streifen ukrainischen Bodens“ einen Krieg beginnen, für „Unsinn“. Die Krim erklärte er für „weg“, sie werde „nicht zurückkommen“. Noch bevor ihn SPD-Kriegsministerin Christine-„Putin ins Visier nehmen“-Lambrecht entlassen konnte, trat er am Samstag zurück. Am Sonntag schrieb ihm einer aus der Berliner Schreibtischkriegerdivision, „FAZ“-Korrespondent Peter Carstens, auf „faz.net“ hinterher: „In der Marine, meist in vertraulicher Runde, wird seit Jahren die frühere Ostsee-Kooperation mit den russischen Kameraden vermisst, die eisigen Verhältnisse bedauert. Man wünscht sich, vielleicht beim Marinekommando in Rostock eher als in Kiel, mehr Zuwendung, mehr Respekt für Russland. Da ist Schönbach kein Einzelfall.“ Östlich von Kiel sind alle des Prorussentums verdächtig. Der Botschafter Kiews in der BRD, Andrij Melnyk, zog die Nazikarte und verkündete, Schönbach erinnere die Ukrainer „unbewusst auch an die Schrecken der Nazibesatzung“, als „die Ukrainer als Untermenschen behandelt wurden“. Den Nazikollaborateur, Juden- und Polenmörder Stepan Bandera, seit 2014 Nationalheld seines Landes, hatte er diesmal vergessen.

Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat, der in der 12-Uhr-„Tagesschau“ am Sonntag zu Wort kam, nannte Melnyks Hetze „widerwärtig“. Er, Kujat, hätte sich hinter Schönbach gestellt, der Vizeadmiral habe lediglich die „amerikanische Position“ wiedergegeben. Leider werde in der Bundesrepublik „täglich die Kriegstrommel gerührt“, da hätte er es vielleicht etwas anders sagen sollen.

Da fehlt nur das Kampfblatt für den Endsieg, der „Spiegel“, der am Samstag ein Porträt des russischen Präsidenten in Armeekluft auf den Titel setzte und rhetorisch fragte: „Wie weit geht Putin?“ Die Antwort kennen die Hamburger wie der Fälscher Claas Relotius seine faktenfreien Texte: Bis zum Krieg und bei dem helfen ihm Olaf Scholz und die SPD. Dem Kanzler habe nämlich US-Präsident Joseph Biden beim Besuch des CIA-Chefs William Burns in Berlin „einen kurzfristig anberaumten persönlichen Termin in Washington“ angeboten und der Soze habe abgelehnt. Spiegel-Schnappatmung: „Man glaubt es kaum.“ – „Was muss noch passieren, damit im Kanzleramt ein größeres Gefühl der Dringlichkeit entsteht?“ – „Schlingerkurs der Deutschen“ – „mehr Härte“ gegenüber Moskau. Nebenbei teilt der „Spiegel“ mit, das NATO-Nachrichtenwesen sei „mit einer Armada von Aufklärungsflugzeugen“ in der Grenzregion zu Russland aktiv. Bleibt nur die Frage: Wa­rum bombardieren die noch nicht? Hat ja in den vergangenen 30 Jahren unter Beifall des „Spiegel“ woanders stets geklappt. Die publizistische Heimatfront steht. Nur einige Generäle, SPDler und die CSU vermasseln alles.

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"Kriegshetze", UZ vom 28. Januar 2022



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