UZ: Die Geschichte deines Buchs „Die Rosenfelds“ spielt zur Zeit des 1. Weltkriegs. Es geht um eine jüdische Familie, die ich als liberal und – zumindest zu Beginn – als patriotisch bezeichnen würde. Die Söhne Friedrich und Max ziehen recht selbstverständlich in den Krieg, als sie einberufen werden. Wie passt das zum offenen Antisemitismus der Deutschtümler und Kriegsbefürworter?
Detmar Müller: Einen kurzen Moment lang – nach Ausbruch des Krieges – gibt es eine Phase, in der, wie Friedrich sagt, „die Antisemiten ihre dämlichen Fressen gehalten“ haben. Das war von August bis Oktober/November 1914. Das kippt dann aber, als der Vormarsch der deutschen Truppen ins Stocken gerät. Je länger der Krieg dauert, desto mehr kippt die Stimmung, bis zur berühmten Judenzählung 1916, die man sich ausgedacht hatte, weil man zeigen wollte, dass Juden sich vor dem Fronteinsatz drücken. Dabei gab es eine Mobilisierung für den Krieg auch innerhalb der jüdischen Gemeinden. In allen gab es Aufrufe, sich dem Vaterland zur Verfügung zu stellen. Man sah sich in der Pflicht, „für das Vaterland zu kämpfen“ – genau wie in den christlichen Gemeinden. Das hat diejenigen anfangs überrascht, die Juden in Deutschland nicht als Deutsche gesehen haben, das war der ganze Antisemitenklüngel.
UZ: Also waren auch die jüdischen Gemeinden Teil der anfänglichen Kriegsbegeisterung.
Detmar Müller: Die „massenhafte Kriegsbegeisterung“ halte ich für Propaganda. „Begeisterung“ ist ein Wort, das ignoriert, dass Bauern – um ein Beispiel zu nennen – zur Erntezeit sicher nicht begeistert sind, wenn ihre Söhne und Knechte eingezogen werden. Es gab von einem Moment auf den anderen praktisch kaum noch ländliche Arbeitskräfte.
UZ: Ich habe dein Buch mit Freude und in einem Rutsch gelesen. Welche Autoren haben deinen Stil beeinflusst?
Detmar Müller: In jungen Jahren bin ich von Remarque geprägt worden. Wer mich aber bis heute stark beeindruckt ist Arnold Zweig, weil er gesellschaftliche Kräfte benennt und seine Figuren sich zu ihnen verhalten müssen. Wie eine seiner Figuren, der Schriftsteller Werner Bertin, ein jüdischer Intellektueller, der als Armierungssoldat eine völlig neue Welt kennenlernt – die von Berliner und Hamburger Arbeitern, mit denen er in eine Einheit gesteckt wird.
Literatur ist ja deshalb besonders spannend, weil man aus ihr mehr als aus Geschichtsbüchern lernt – wenn es gute Literatur ist.
UZ: Eine beeindruckende Figur in deinem Buch ist die des belgischen Soldaten Kees Vermeulen, der an Stelle seines Bruders in den Krieg zieht, weil er nichts zu verlieren hat. Er ist Alkoholiker, verpfändet Familienerbstücke, um sich Stoff zu kaufen und glaubt, keine Perspektive zu haben. Als Soldat und Scharfschütze „funktioniert“ er aber, wird fast so etwas wie ein Kriegsheld. Sind es die Kaputten und Verlierer, die besonders für den Krieg geeignet sind?
Detmar Müller: Es gibt neben Kees Vermeulen noch ein paar weitere Figuren dieser Art wie zum Beispiel Franz Lehmann auf deutscher Seite, die im Verlauf des Krieges zu „guten“ Soldaten werden. Denn es gibt ja im Laufe des Krieges diese Veränderung der Soldaten, die immer brutaler werden und die dann auch Schwierigkeiten haben, sich ins zivile Leben wieder einzufinden.
Kees Vermeulen zeichnet sich als „Mustersoldat“ dadurch aus, dass er schon bevor er Soldat wird, zu nichts anderem mehr zu taugen scheint, weil der Krieg ihm bereits seine Familie genommen hat, er also glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben, und sich entsprechend verhält. Die meisten Soldaten werden im Verlauf des Kriegs zerstört, was erst richtig spürbar wird, wenn sie nach Hause zurückkehren. So leidet meine Hauptfigur Friedrich unter Flashbacks und kann sich nicht einfinden in das „normale“ Familienleben. Der Aufschrei, den es beispielsweise gab, als herauskam, dass deutsche Soldaten in Afghanistan mit Totenschädeln gespielt haben, geht meines Erachtens an der Sache vorbei. Anstatt sich die armen Willis zu greifen, die durch den Krieg derart verroht sind, dass sie meinen es wäre cool, einen echten Totenkopf auf die Motorhaube eines Jeeps zu montieren, muss man sich die vornehmen, die sie dorthin geschickt haben.
Auch die Soldaten in meinem Buch haben ja ein ziviles, ein „normales“ Leben gehabt, dass sich mit dem Krieg nicht in Einklang bringen lässt. In reaktionären Kriegsromanen geht es immer um die Funktion des Soldaten und seine Werte. Da wird es verlogen – Familienleben passt da nicht rein.
Die Rosenfelds – Geschichte einer jüdischen Familie im Ersten Weltkrieg
549 Seiten, Geest-Verlag, 15,- Euro