Gewerkschaftsmitglieder, Kommunisten und Friedensfreunde demonstrieren vor dem Kanzleramt

Krieg, Wirtschaftskrieg und sozialen Krieg beenden

Sven George

Mehr als 400 Menschen sind am Samstag einem Aufruf der Friedenskoordination Berlin gefolgt und versammelten sich unter dem Motto „Frieden für die Ukraine und für Russland“ vor dem Bundeskanzleramt. Sie demonstrierten gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Sie forderten zudem ein Ende des sozialen Krieges der Bundesregierung gegen die Menschen in Deutschland, Abrüstung und die Beendigung des Wirtschaftskrieges gegen Russland.

Mit Friedensfahnen sowie Fahnen und Transparenten von unter anderem ver.di und GEW, DKP und Linkspartei, von friedensbewegten Organisationen wie VVN-BdA und Naturfreunden konnte die Kundgebung auch zur Überwindung von Spaltungen in der Friedensbewegung beitragen.

Die Künstlerin Gizem Gözüacik gestaltete das musikalische Rahmenprogramm. Lühr Henken verglich in seinem Redebeitrag die Bedrohung durch die geplante Stationierung des Raketensystems „Dark Eagle“ mit der von „Pershing II“, die die Friedensbewegung einst verhinderte. „Dark Eagle“ verringere die Vorwarnzeit für Moskau signifikant. Eine Videoaufzeichnung seines Vortrags dokumentieren wir unten. Die gewerkschaftlich organisierten Friedensaktivisten Barbara Majd Amin (AG Frieden, GEW Berlin) und Volker Prasuhn (ver.di Berlin) beleuchteten die sozialen Folgen der aktuellen und geplanten Kriegswirtschaft Deutschlands. Obwohl die Gewerkschaftsführungen den Kriegskurs der Regierung unterstützten, gebe es Zulauf für Proteste gegen die Kanonen-statt-Butter-Politik von Gewerkschaftern der Basis. Ihre Rede dokumentieren wir unter diesem Beitrag. Die Journalistin Christiane Reymann berichtete aus eigenen Erfahrungen über die Aggressionen des ukrainischen Militärs gegen die Donbass-Oblaste ab 2014 und rief die Friedensbewegung zum Zusammenhalt trotz Differenzen auf. Sie erinnerte daran, dass die Menschen im Donbass schon seit 2014 im Krieg leben.

Wurde die Vorjahreskundgebung noch vor allem aus dem Spektrum der Grünen beleidigt und gestört, zeichnete sich dieses Jahr ein neuer Trend ab: Einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit ukrainischen Fahnen blieben interessiert stehen und hörten zu.

Die Berliner Polizei tritt vermehrt als politischer Akteur auf. Willkürlich legte sie fest, welche Meinungsäußerungen erlaubt sind. Einen älteren Friedensfreund mit einem Plakat „Grüne an die Ostfront“ entfernte die Polizei von der Kundgebung und überprüfte sein Plakat auf „Legalität“. Eine halbe Stunde später kam er zurück – mit seinem Plakat.

Fotogalerie:

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Redebeitrag von Lühr Henken:

Redebeitrag von Barbara Majd Amin und Volker Prasuhn:

Barbara Majd Amin:
Die Bundesregierung ist stolz. Wir sind es nicht, wir sind wütend. Zum ersten Mal liegen die Militärausgaben der Bundesrepublik dort, wo die NATO sie haben will: oberhalb von 2 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das hat sie nur geschafft mit Schulden, die sie Vermögen nennt, und mit schmerzhaften Kürzungen in den sozialen Ressorts. Die nennt man auf Neudeutsch nicht Kürzungen, sondern „Umpriorisierungen“.

Als wären die Menschen so blöd, das nicht als Nebelkerzen zu durchschauen.

So blöd sind wir aber nicht!

Volker Prasuhn:
Roderich Kiesewetter schwadronierte kürzlich über ein 300-Milliarden-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr. Das gehe „nur mit Umpriorisierung und klaren strukturellen Reformen“.

Die „Umpriorisierung“ hat die Ampel bereits begonnen:

  • Kürzung beim BAföG
  • Kürzung bei der Kinder- und Jugendhilfe
  • Kürzung beim Wohngeld
  • Kürzung der Mittel für das Gesundheitswesen um ein Drittel
  • Kürzung bei der Beratung von Migranten und Geflüchteten
  • Und, und, und …

Die „klaren strukturellen Reformen“, von denen Kiesewetter spricht, stehen schon in der Pipeline:
Eine neue Rentenreform muss her:

  • Die Aktienrente soll kommen, das ist die Öffnung des Rentensystems für Finanzspekulanten.
  • Das Rentenalter gerät in den Fokus der sogenannten Wirtschaftsexperten.

Wer kriegstüchtig sein will, muss tüchtig arbeiten – nicht nur bis 67. Am besten bis zum Umfallen…
Die Rolle rückwärts ist beim Bürgergeld bereits vollzogen: Rückkehr zum harten Hartz-IV-Sanktionsregime.

Lauterbachs „Gesundheitsreform“ wird das Kliniksterben nicht verhindern, sondern beschleunigen. Das Kliniksterben ist eine staatlich organisierte Insolvenzwelle – und eine Steilvorlage für Profithaie.

Barbara Majd Amin:
Deutschland kriegstüchtig zu machen, das geht eben nicht ohne sozialen Kahlschlag. Es sind zwei Seiten einer Medaille – und wir wollen beides nicht.
Wir wollen nicht kriegstüchtig sein – und wir werden den Sozialkahlschlag nicht hinnehmen.
Wir widersprechen dem Chef des Ifo-Instituts, der kürzlich meinte, Kanonen und Butter, das ginge nur im Schlaraffenland, und der sich für Kanonen aussprach. Was wir wählen, ist klar: wir wählen die Butter.

Widerstand ist überfällig, Widerstand auch unserer Gewerkschaften!

Schon jetzt fehlt überall Geld für die notwendigsten Investitionen:
Städte und Kommunen beklagen einen Investitionsstau von fast 170 Milliarden Euro.
Was jetzt nötig ist, ist doch klar: Investieren in Bildung, Gesundheit, Verkehr, Wohnungen, Kultur … Und nicht nötig ist Aufrüstung!

Das dicke Ende aber, das müssen wir wissen, kommt erst noch. Bis 2027 wird das sogenannte „Sondervermögen“ ausreichen, um Jahr für Jahr die Militärausgaben wie in diesem Jahr aufzustocken. Wenn der Irrsinn der Rüstung danach weitergehen soll, wie der Kanzler stolz verkündet hat, dann würden Jahr für Jahr 25-30 Milliarden Euro im Bundeshaushalt fehlen. Woher wollen sie die dann nehmen? Und weiter: Ab 2031 müssen die Kriegskredite zurückgezahlt werden, Zinsen fallen an, woher soll dieses Geld kommen? Was wollen sie dann kürzen?

Sehen wir uns das bisherige Ergebnis des Kahlschlags an: In diesem Jahr werden die Ministerien Bildung, Gesundheit, Entwicklung, Wirtschaft und Klima, Wohnen, Auswärtiges und Umwelt alle zusammen 13 Milliarden Euro weniger als das Militär erhalten.

Das kann nicht so weitergehen!
Das ist eine Schande!

Volker Prasuhn:
Man müsse „Russland ruinieren“, sagt Annalena Baerbock. Nein!

Die Kriegspolitik der Regierung führt Deutschland in den Ruin.
Die Kriegspolitik führt die arbeitende Bevölkerung in den Ruin.
Die Sanktionen gegen Russland haben die Arbeitnehmer schon mit einer seit Generationen nie gekannten Inflation bezahlt.
Die Beschäftigten im Niedriglohnbereich, in den prekären Jobs wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen. Für große Teile der Rentner gilt das genauso.
Reallohnverluste bis in die Facharbeiterkreise hinein …

Die Tarifkämpfe und Streiks der vergangenen Monate konnten das nur zum Teil wettmachen.
Jetzt ist Deutschland in eine Rezession getaumelt.
Wir können nur ahnen, welche Ausmaße die Deindustrialisierung, die Verlagerung der Produktion ins Ausland noch annehmen wird.
Auch das hat mit der Abnabelung vom billigen russischen Gas zu tun und dem Krieg insgesamt.
Kanzler Scholz gibt der Ukraine eine Ewigkeitsgarantie für Waffengeschenke – eine Garantie für die Arbeitsplätze gibt er uns nicht.
Die Antwort der Ampelregierung auf die Krise lautet: Volle Fahrt hinein in die Rüstungsindustrie!
Kriegs- und Krisengewinner sind die Rüstungskonzerne. Deren Aktienkurse steigen und steigen.
Das ist der Weg in die Kriegswirtschaft.
Der Widerstand dagegen ist notwendig und dringend.
Jeder, der hier steht, kann dazu beitragen.
Nicht nur in der Friedensbewegung, auch in den Gewerkschaften, in den sozialen Bewegungen und Initiativen.

Barbara Majd Amin:
Man sagt uns, wir stünden vor einer simplen Wahl: „Entweder Kürzung sozialer Leistungen oder Scheitern der Zeitenwende für die Bundeswehr.“
So war es kürzlich zu lesen in einem führenden deutschen Militärmagazin.
Also lasst uns dafür sorgen, dass die Zeitenwende scheitert:

  • Mit Streiks für inflationssichere Tarifverträge
  • Mit dem Kampf für mehr Personal in Schulen Kitas und
  • Mit Demos für den Erhalt von Krankenhäusern und Jugendeinrichtungen
  • Mit Protesten der gegen die Ausgaben für Rüstung und die Streichung von Sozialleistungen.

Das wird das Scheitern der Zeitenwende befördern.

Volker Prasuhn:
Weltweit gibt es Widerstand gegen Aufrüstung und Krieg.
Wir sind ein Teil davon!
Für Frieden in Palästina, in der Ukraine und in Russland fordern wir:

  • Waffenstillstand sofort! Verhandlungen!
  • Stopp der Waffenlieferungen – sofort!
  • Nicht Aufrüstung – Abrüstung!

Barbara Majd Amin:
Bringt Euch ein für diese Forderungen in euren Gewerkschaften, in den sozialen Bewegungen, in der Friedensbewegung.

Kommt zum Ostermarsch! Wir sehen uns am 30. März mit Gewerkschaftsfahnen und -transparenten.
Kriegstüchtig? Nie wieder!

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"Krieg, Wirtschaftskrieg und sozialen Krieg beenden", UZ vom 1. März 2024



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