Eine empfehlenswerte Boschüre aus Mörfelden-Walldorf

Krieg und Frieden

Ich wollte nicht sprachlos angesichts dieses Krieges in der Ukraine sein“, sagte mir Rudi Hechler am Telefon, als ich ihn auf die Entstehung seiner Broschüre „Krieg und Frieden“ ansprach. Das 56-seitige Büchlein ist in der Reihe „blickpunkt“ erschienen, der gleichnamigen Kleinzeitung der DKP Mörfelden-Walldorf.

Sprachlos war der Autor nie. 50 Jahre lang war er presserechtlich verantwortlich für die Publikationen der DKP in seiner Heimatstadt und gab wichtige politische Impulse. Und er wurde gehört, nicht nur von der beeindruckenden Zahl der Wähler in seiner Stadt, er fand mit seiner vorliegenden Broschüre auch den Weg in die „Frankfurter Rundschau“, die es unter anderem wie folgt vorstellte: „Das Büchlein ist aber auch eine Geschichte des Kampfes für den Frieden. Zahlreiche Bilder dokumentieren die Friedensbewegung im Rhein-Main-Gebiet. Dazwischen Gedichte und Gedanken von John Heartfield, Erich Kästner und Bertolt Brecht. Hechler zieht in Form tagebuchähnlicher Anmerkungen Parallelen zwischen damals und heute. Er wendet sich gegen Aufrüstung und tritt für Frieden ein.“

In Wort und Bild erinnert der Autor an den Zweiten Weltkrieg, so an die Nacht vom 11. auf den 12. September 1944. Die Royal Air Force bombardierte Darmstadt. „In wenigen Stunden starben 11.500 Menschen. Rund 20 Prozent der Opfer waren Kinder unter 16 Jahren. Ich will nicht, dass wir das mit der heutigen Situation vergleichen – zumal seit dieser Zeit nicht nur in Deutschland viele Städte so aussahen: Coventry, Hiroshima, Nagasaki, Aleppo, eine endlose Reihe Städtenamen könnte man anfügen. Aber erinnern sollten wir uns.“
Rudi erzählt anschaulich, wie in den Schulen Nazi-Deutschlands die Kinder auf den Krieg vorbereitet wurden: „Wir kamen im April 1940 in die ‚Horst-Wessel-Schule“. 80 Kinder im Saal. Frau Korbracht begrüßte uns: ‚Heil Hitler, Kinder! – Ihr seid jetzt in der Schule und hier wollen wir lernen. Aber erst einmal singen wir ein Lied.‘

„Ihr kennt doch alle ‚Bomben auf Engeland‘?“ Zögerliches, ganz leises Gemurmel. ‚Na dann singe ich mal vor: Hört ihr die Motoren singen: Ran an den Feind! Hört ihr‘s in den Ohren klingen: Ran an den Feind! Bomben! Bomben! Bomben auf Engeland!‘“

Und nach der Befreiung: „Trotzdem – wir kamen 1948 aus der Schule und wussten nichts. Rechnen, schreiben, singen – einiges ist noch abrufbar.

Zwei, drei Goethe-Gedichte, ein wenig Fontane. Fabeln. Immerhin, den ‚John Maynard‘ können manche heute noch aufsagen. Aber keiner kannte Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Erich Kästner …“

Die Broschüre dokumentiert auch den Widerstand der Kommunistinnen und Kommunisten in der Stadt, ihre Verfolgung und die Verbrechen der Nazis an den jüdischen Mitbürgern. Sie zeigt auch auf, welche Schlüsse die Kommunistinnen und Kommunisten in Mörfelden-Walldorf gezogen haben, wie sie nach der Befreiung den Friedenskampf geführt haben. Und trotz der erschreckenden Bilder aus der Ukraine und anderen aktuellen Kriegen bleibt Rudi Hechler optimistisch und kämpferisch:

„Beginnen wir, die Zeit nach diesen Kriegen vorzubereiten. Arbeiten wir für den Frieden. Bei uns und überall!“


Erinnerung

Was ich nicht vergessen werde

260806 Krieg und Frieden 1 - Krieg und Frieden - Antifaschismus, DKP, Friedenskampf, Geschichte der Arbeiterbewegung - Im Bild
Texte und Bilder aus der Broschüre „Krieg und Frieden“
Sie kann für 5,- Euro bestellt werden im UZ-Shop
uzshop.de | Tel.: 0201 17788925

Es ist schon eine Weile her. Es gab die Sowjetunion noch und St. Petersburg hieß auch noch Leningrad. Mit einer Gruppe gestandener Frauen und Männer, viele Betriebsräte dabei, war ich in Leningrad und Kiew. In Kiew erst einmal Kunst und Geschichte. Wir waren sehr beeindruckt. Dann gingen wir in die Sophienkathedrale, machten eine Fahrt auf dem Dnjepr.

Ziemlich zum Schluss besuchten wir eine Textilfabrik. Unsäglicher Lärm und Staub. Schnell raus aus der Halle! Im neuen Betriebskindergarten sangen dann die Kleinsten. Alle waren gerührt – es flossen Tränen.

Dann der Abschied vor unserem Bus – drei Minuten Schweigen – ein alter ukrainischer Brauch – und ich sollte eine kleine Rede halten, das Gastgeschenk überreichen. Vor uns einige Frauen, einige Beschäftigte aus dem Kindergarten. Ich hatte noch die Kinder im Kopf und erzählte: Wie wichtig für uns die Friedensbewegung ist und wie wir mitarbeiten. Dann noch: „Wir hatten in Deutschland eine große Künstlerin – sie hieß Käthe Kollwitz.“ Die Leiterin der Kindereinrichtung hob leicht den Kopf. Ich sprach von der Lithografie ‚Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden‘.

Als ich mit der kleinen Rede endete, nahm sie mich an der Hand und wir gingen noch einmal mit der kleinen Gruppe in die Kindereinrichtung. Sie führte mich in ihr Büro und ich sah: Über ihrem Schreibtisch war an der Wand ein großes Bild von Käthe Kollwitz „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“.

Rudi Hechler


Unsere Erinnerungen weitergegeben

260803 Gerd Schulmeyer Aktion gegen BW Werbung - Krieg und Frieden - Antifaschismus, DKP, Friedenskampf, Geschichte der Arbeiterbewegung - Im Bild
Lokaler Friedenskampf in Mörfelden-Walldorf

Erinnern wir uns: Am 1. September 1939 begann Hitler den Zweiten Weltkrieg. Er kostete 50 Millionen Menschen das Leben. 35 Millionen kamen verkrüppelt aus den Schlachten. Deutschland verlor in diesem verbrecherischen Krieg über sechs Millionen, Polen sechs Millionen, die Sowjetunion über 23 Millionen Menschen. 17 Millionen Deutsche verloren ihre Heimat.

Allein in Mörfelden gab es – bei damals 5.487 Einwohnern – 271 Gefallene, über 200 wurden vermisst und kehrten niemals heim. Das bedeutet, dass circa jeder vierte Mörfelder im wehrpflichtigen Alter im Krieg geblieben ist. Hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt sich namenloses Leid von Müttern, denen der Sohn fiel, von jungen Frauen, die den Vater ihrer Kinder verloren.

Ich erinnere mich, wie die Gefallenenmeldungen im Rathaus abgeholt und in die Häuser der Betroffenen gebracht wurden. Ich erinnere mich an die Schmerzensschreie der Mütter und Ehefrauen, die dann auf der Straße zu hören waren. Das war in allen betroffenen Ländern so, es hat sich bis heute nicht geändert. Heute gibt es dieses unermessliche Leid in Russland und der Ukraine.

Bei den Fernsehbildern aus den Luftschutzkellern des Asowstahlwerks in Mariupol erinnere ich mich an unsere Nächte im Keller. Man hörte die Bomber, sah die suchenden Scheinwerfer. Wenn die Flakgeschütze bellten und Bomben fielen, rieselte der Kalk von der Decke.

Ich erinnere mich: Nachts auf der Straße sahen wir den roten flackernden Himmel über Darmstadt, über Frankfurt, Hanau, Offenbach. Allein in Darmstadt starben beim Angriff auf die dicht besiedelte Innenstadt in einer Nacht 11.500 Menschen. Rund 20 Prozent der Opfer waren Kinder unter 16 Jahren.

„Das waren auch Kriegsverbrechen!“, sagen heute manche, die es offenbar erleichtert, auf andere zu zeigen. „Der deutsche Faschismus“, sage ich dann, „hat die Welt in Brand gesetzt – die Flammen schlugen zurück!“


„Lieber Jakob …“

Ein fiktiver Brief

Wir fanden ein kleines Heft meiner Mutter. Luise Hechler war 42 Jahre alt und hatte drei Kinder. Ende März 1945 schrieb sie einen fiktiven Brief an unseren Vater, von dem sie nicht wusste, wo er war und ob er überhaupt noch lebte:

„Lieber Jakob, … die Panzer stehen in Groß-Gerau. In der Nacht hat die Artillerie feste geschossen. Es kam immer näher … Um fünf Uhr haben sie auf Mörfelden geschossen. Der zweite Schuss ging ganz in unsere Nähe. Beim Nachbarn ist das Dach weg und die Wand ist eingedrückt. Tote hat es keine gegeben, aber etliche Häuser sind kaputt. Am Sonntag, den 25. März um fünf Uhr nachmittags, sind die ersten Panzer hier durch. Alles hat die weiße Fahne gehisst …“

Ich erinnere mich an meinen großen Bruder Heinz. Im April 1928 geboren – wurde er schon in seiner Kindheit geprägt durch eine brutale Hausdurchsuchung durch die SA. Man zog ihm die Bettdecke weg, weil man glaubte darunter verstecke sich der Vater, der als Kommunist gesucht wurde. Im März 1945 wurde „der Bub“ unter Lebensgefahr im Keller versteckt und entging so – hinter einer Wand von Futterrüben – in letzter Minute dem Einzug zum „Volkssturm“.

Ich erinnere mich an ein Verbrechen in unserer Nähe. Kurz bevor die 3. US-Armee den Rhein überquerte, erschossen die Nazis sechs Menschen – Kommunisten, Sozialdemokraten, eine Jüdin. Seit vielen Jahrzehnten legen wir am 21. März einen Kranz an der Stelle nieder.


Tagebuchnotiz

280802 Untermensch - Krieg und Frieden - Antifaschismus, DKP, Friedenskampf, Geschichte der Arbeiterbewegung - Im Bild

Heute ist der 6. April 2022, ein Mittwoch. Es ist 10 Uhr. Eben im Ersten Programm ein Bericht über das „Massaker von Butscha“. Eine Frau schreit ins Mikrofon: „… das sind keine Menschen!“ Ich kann mich noch an Plakate aus dem Jahre 1944 erinnern. Einige hingen in der Darmstädter Straße in Mörfelden: „Untermenschen sehen dich an!“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Krieg und Frieden", UZ vom 1. Juli 2022



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit