Sanktionen von USA und EU verhindern Hilfe für Syrien

Krieg in Zeitlupe

Die Sanktionen gegen Syrien behindern den Wiederaufbau des Landes und vermehren das Leid der Bevölkerung. UZ sprach über die Sanktionen und ihre Auswirkungen mit Ekkehard Lentz, dem Sprecher des Bremer Friedensforums.

UZ: Das Bremer Friedensforum wurde 1983 in der Auseinandersetzung um den sogenannten Nachrüstungsbeschluss der NATO gegründet, ihr blickt also schon auf eine lange Geschichte zurück. Was hat euch dazu gebracht, eine Spendenkampagne für Syrien zu initiieren?

Ekkehard Lentz: Was uns dazu gebracht hat, war, dass die Sanktionen der USA und der EU seit vielen Jahren unerträgliches Leid über Syrien bringen. Wirtschaftssanktionen zerstören gezielt und bewusst die Grundlagen der syrischen Gesellschaft. Was nach den Jahren des Krieges von den Bereichen Landwirtschaft, Wasserversorgung und Gesundheit geblieben ist, fällt den Sanktionen zum Opfer. Sanktionen sind ein Krieg in Zeitlupe. Wir fordern die Aufhebung der Sanktionen gegen die Menschen in Syrien. Die Sanktionen müssen auch deshalb beendet werden, damit Hilfen überhaupt ankommen können.

UZ: Ursprünglich ging es euch um die Lieferung von Saatgut nach verheerenden Bränden. Nun kam das Erdbeben – was hat sich für eure Arbeit dadurch konkret geändert?

Ekkehard Lentz: Tausende Familien in Syrien stehen vor den Trümmern ihrer Existenz. Das Erdbeben hat die Not von Kindern und Familien weiter verschärft. Das Beben trifft ein Gebiet, das vielerorts schon vorher in Trümmern lag. Die betroffenen Regionen sind logistisch nicht zu erreichen, darum können wir leider auch keine Sachspenden annehmen.

In der gesamten Region leben Millionen syrische Flüchtlinge, deren Situation sich durch das Erdbeben noch einmal drastisch verschlechtert hat. Dank der großen Spendenbereitschaft von 350 Menschen konnten bisher bis Mitte März 47.000 Euro gesammelt werden.

Letztlich brauchen die Menschen aber Hilfen, die sie finanziell unabhängig von weiteren Hilfen machen, was aber nur im Kleinen möglich ist, da das Embargo den Aufbau einer eigenen modernen Wirtschaft verhindert.

Leider hat die Postbank unser Spendenkonto zum 5. Mai 2023 ohne Angabe von Gründen gekündigt.

UZ: Wie wird das Geld, das ihr sammelt, in Syrien verteilt?

Ekkehard Lentz: Unsere Spendengelder gehen an Menschen in der Provinz Latakia, wo die Not mit am größten ist. Wir arbeiten zu diesem Zweck mit der Spendenkampagne für Syrien der „Föderation der Arabischen Aleviten in Europa“ und der Bremer „Takla-Stiftung“ eng und unbürokratisch zusammen. Beide Organisationen haben direkte Kontakte vor Ort und bereits den wesentlichen Teil der bisher gesammelten Spenden erhalten.

UZ: Wie sieht eure Zusammenarbeit mit der Takla-Stiftung aus?

Ekkehard Lentz: Menschen aus dem Bremer Initiativkreis „Sanktionen töten! Für ein Ende der Sanktionen gegen die Menschen in Syrien“ und dem Bremer Friedensforum unterstützen bereits seit Langem und kontinuierlich das Projekt der Takla-Stiftung „Humanitäre Hilfe für Syrien“. Wir nehmen auch an Veranstaltungen im „Haus der syrischen Kunst“ in Bremen teil. Derzeit läuft dort bis zum bis 27. Mai 2023 die Ausstellung von Kutaiba Mamou „Obsession. Verletzbarkeit und die Schatten des Krieges“.

UZ: Syrien ist den allerschärfsten Sanktionen ausgesetzt – was bedeutet das für eure Arbeit? Und hat sich nach dem Erdbeben etwas daran geändert?

Ekkehard Lentz: Die Sanktionen müssen auch deshalb beendet werden, damit Hilfen überhaupt ankommen können. Auch wenn die Bundesregierung behauptet, die Sanktionen gegen Syrien zeitweise ausgesetzt zu haben, können Gelder weiterhin nur über private Kanäle ins Land gebracht werden – insofern hat sich also für unsere Arbeit nichts geändert.

Unter Sanktionen leiden immer die einfachen Leute – und die sterben in Massen. Schau nach Irak in den 1990er Jahren, nach Venezuela zur Zeit Donald Trumps, nach Syrien ab 2011. Wichtig scheint mir, wie Karin Leukefeld das tut, immer wieder zu betonen, dass die Sanktionen völkerrechtswidrig sind, dass die Bevölkerung leidet und nicht die Eliten. Das ist leider längst kein Allgemeingut in der Friedensbewegung.

UZ: Die Sanktionen gehen einseitig vom Westen aus …

Ekkehard Lentz: Ja. Die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte und einseitige Zwangsmaßnahmen, Alena Douhan, hat bereits lange vor der Erdbebenkatastrophe am 10. November 2022 in ihrem Bericht zu den Auswirkungen der Sanktionen gegen Syrien die sofortige Aufhebung aller einseitigen Sanktionen gefordert, die den Menschenrechten ernsthaft schaden und jegliche Bemühungen um eine baldige Erholung verhindern. Sanktionen seien möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Douhan ist nicht nur UN-Sonderberichterstatterin, sondern auch Staatsbürgerin von Belarus. Daher fielen die Reaktionen des „Wertewestens“ so aus, dass Douhan und somit ihr Bericht wegen Befangenheit als unseriös abzulehnen sei.

UZ: An ein Ende der EU-Sanktionen ist jedoch nicht zu denken …

Ekkehard Lentz: Das Perfide ist, dass die EU ein Unrechtssystem geschaffen hat, um ihren Sanktionen nach außen hin den Anstrich der Rechtmäßigkeit zu geben. Das funktioniert bislang, weil es keine Organisation gibt, die die EU dafür zur Rechenschaft ziehen kann. Das westliche System schafft sein eigenes Recht und bestraft nach eigenem Gusto alle anderen.

UZ: Was ist aus eurer Erfahrung das Wichtigste, was die Menschen in Syrien brauchen?

Ekkehard Lentz: Unsere Forderung an die Bundesregierung lautet, auf die US-Regierung einzuwirken, die besetzten Ölfelder an die syrische Regierung zurückzugeben. Das ist allerdings schwierig, weil die mit den US-Amerikanern verbündeten Kurdenmilizen vom illegalen Verkauf des Erdöls profitieren.

UZ: Was hat dich am meisten bewegt bei den Rückmeldungen?

Ekkehard Lentz: Eine tiefe Dankbarkeit, die sich wohltuend vom sonstigen Politikbetrieb abhebt. Uns – und auch mir ganz persönlich – wird mitgeteilt, dass wir im Rahmen der internationalen Solidarität einen wichtigen und spürbaren Beitrag für die Menschen vor Ort leisten. Eines ist allerdings klar: Egal wie großzügig die Spenden ausfallen, sie bleiben „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Der einzige wirkliche Weg aus dem Elend ist die sofortige und dauerhafte Aufhebung aller Sanktionen!

Weitere Informationen über das Bremer Friedensforum und seine Arbeit gibt es unter bremerfriedensforum.de

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"Krieg in Zeitlupe", UZ vom 7. April 2023



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